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Skandalfilme - cineastische Aufreger gestern und heute

Skandalfilme - cineastische Aufreger gestern und heute

Titel: Skandalfilme - cineastische Aufreger gestern und heute Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Volk
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Aber selbst zum Genre geworden sind sie nicht.
    Gewiss, es gibt auffällige Überschneidungen: immer wieder die Gruppe; Wahnsinn und Behinderung; und wenigstens in den ersten Filmen drehte sich auf der Suche nach einer neuen Wahrheit vieles um Heuchelei, Verlogenheit und Doppelmoral. Doch all diese Motive sind nicht unmittelbar mit den Regeln des Manifestes verkettet. Genauso wenig wie die als puritanisch-hässlich kritisierte Darstellung der Sexualität in den ersten vier Filmen sich zwangsläufig daraus ergab. Das alles war nicht Programm.
    «Keuschheitsgelübde» meinte etwas anderes: den absichtlichen Verzicht auf filmische Gestaltungsmöglichkeiten. Formale Selbstbeschränkung. Auch hier war der Einfluss der «Dänischen Film Schule» evident. Immer wieder wurden von Trier und Vinterberg von ihren Filmlehrern zu Übungen verdonnert, in denen sie dies und das nicht durften und so gezwungen waren, kreative Lösungen zu entwickeln. Nach exakt diesem Prinzip funktionierte auch Dogma 95. Im Grunde als Übung, als Spiel. Die Spielregeln bestanden dann eher aus Verboten als aus Geboten. Sie bildeten Hindernisse, die es zu umgehen, zu überwinden galt. Und sie waren im Grunde austauschbar.
    Derselben Logik folgten, schon Jahrzehnte vor Dogma, Filme wie Alfred Hitchcocks C OCKTAIL FÜR EINE L EICHE , in dem der Meister mit einer handvoll Schnitte auskam, und in den technisch übersättigten 90ern Aleksandr Sokurovs One-Shot R USSIAN A RK oder Aki Kaurismäkis Stummfilm J UHA . Auch Lars von Trier griff mit D OGVILLE , der auf einer einzigen überdimensionalen Bühne spielte – mit Kreidestrichen als Türen, auf dasselbe Grundmuster zurück. Das Dogma-Konzept diente mit seinen Reglementierungen als Katalysator, um schöpferische Energien freizusetzen. Nicht bierernst, ohne ideologischen Ballast und nicht gegen, sondern neben Hollywood.
    Der dennoch utopische, aber anti-idealistische Hintergedanke dabei war, dass der freiwillige formale Verzicht eine Konzentration auf die Story förderte und gleichsam automatisch ein höheres Maß an Authentizität gebar. Diese materialistische Hoffnung hat sich angesichts der keineswegs immer wahrhaftigen Dogma-Filme mittlerweile zerschlagen. Gleichzeitig belegt die Mehrzahl der Filme aber auch, dass sich das Dogma-Manifest als eine Art inspirative Fastenkur bewährt hat. Fast wie nebenbei hat es dem am Boden liegenden dänischen Film auf die Beine geholfen und dazu geführt, dass so kontrovers und intensiv über Sinn und Wesen des Kinos diskutiert wurde, wie schon seit Jahren nicht mehr. Nicht zuletzt ließen sich auch Nicht-Dogma-Regisseure von der Dogma-Welle und einer vermeintlichen Dogma-Ästhetik beeinflussen. Beliebte Beispiele dafür sind Joel Schumachers T IGERLAND und Steven Soderberghs T RAFFIC , den Soderbergh scherzhaft als seinen 46 Millionen Dollar Dogma-Film bezeichnete. 7
Die zehn Dogma 95-Thesen: «Gelöbnis der Keuschheit»
Du sollst «on location» drehen. Weder Requisiten, noch Szenenbilder dürfen genutzt werden. Wenn eine bestimmte Ausstattung notwendig ist, so muss ein Drehort gefunden werden, an dem diese schon vorhanden ist.
Du sollst den Ton nicht separat von den Bildern produzieren. Schauspieler darf man nur im O-Ton hören. Musik darf man nur verwenden, wenn sie am Drehort live während der Filmaufnahme gespielt wird.
Du sollst nur mit der Handkamera drehen. Jede Bewegung oder Ruhestellung, die mit der Handkamera machbar ist, sei erlaubt. Schienen, Steadicam etc. sind verboten. Die Kamera soll dorthin gebracht werden, wo auch der Film stattfindet.
Du sollst nur in Farbe filmen. Eine besondere Ausleuchtung ist verboten. Falls zu wenig Licht am Drehort ist, darf maximal eine Lampe an der Kamera befestigt werden.
Du sollst den Film nicht optisch bearbeiten und keine Filter nutzen.
Du sollst keine überdramatische Action in den Film einbauen. Künstliche Reize durch Schießereien oder Mordszenen sind untersagt.
Du sollst weder zeitliche noch geographische Verfremdungen vornehmen. Also keine historischen Sujets, alles hier und jetzt.
Genre-Filme werden nicht akzeptiert.
Du sollst im Format Academy 35°mm drehen.
Du sollst nicht nennen deinen Namen! Der Regisseur soll weder im Vor-noch im Abspann erwähnt werden.
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    Lesetipp
    Jana Hallberg, Alexander Wewerka (Hrsg.): Dogma 95 – Zwischen Kontrolle und Chaos . Berlin: Alexander Verlag 2001
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    1 Vgl.: Mark Kermode: Why I hate Cannes. 13.5.2002. Auf: http://news.bbc.co.uk/2/hi/entertainment/1985492.stm

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