Skelett
Seite, damit sie leichter Luft bekam.
Während der Wagen immer schneller wurde, überlegte sie, dass der Zeitpunkt für ihre Entführung ein denkbar ungünstiger war - zumindest aus ihrer Sicht. Es herrschte noch kein Berufsverkehr, und deshalb kam der Fahrer relativ zügig vorwärts. Paula bewegte die Hände, aber die Handschellen saßen unverrückbar fest. Derartige Plastikhandschellen - noch ziemlich neu auf dem Markt - waren dafür bekannt, dass man sie nicht so leicht aufbrechen konnte.
Eine halbe Stunde später kehrte Newman ins Büro zurück. Der Gegenstand, den er in der Hand hielt, ließ Tweed den Atem stocken. Es war Paulas Umhängetasche.
»Wo haben Sie die gefunden?«, fragte Tweed ruhig.
»Gleich hier in der Nähe. Wenn Sie die Park Crescent nach links gehen, kommen Sie an einer ruhigen Sackgasse mit Wohnhäusern vorbei. Die Tasche lag an der Ecke zur Hauptstraße auf dem Straßenpflaster.«
»Hat irgendjemand etwas gesehen?« Man konnte es Tweed deutlich anhören, welche Selbstbeherrschung es ihn kostete, so ruhig zu bleiben.
»Schwer zu sagen. Ich habe in allen angrenzenden Häusern geläutet, aber keiner hat mir aufgemacht. Nur auf der gegenüberliegenden Straßenseite war eine alte Dame zu Hause. Die meinte, sie hätte unten auf der Straße einen blauen Wagen gesehen, wusste aber nicht, von welcher Marke. Die Gute verstand überhaupt nichts von Autos.«
»Und die Autonummer hat sie sich wahrscheinlich auch nicht gemerkt, oder?«
»Nein, natürlich nicht. Ich bin mir sicher, dass Paula entführt worden ist. Und man braucht keine große Fantasie, um zu erraten, wer dieser Kidnapper ist.«
»Charmian«, sagte Marler, der in dem Moment zur Tür hereinkam.
»Großer Gott«, stöhnte Tweed. »Was will er?«
»Er will Sie«, sagte Marler düster. »Ich bin mir sicher, dass er bald hier anrufen wird.«
Am Abend zuvor hatte Charmian, wie besprochen, seinen unbekannten Auftraggeber angerufen, ihm jedoch nichts von dem Debakel am Ivy Cottage erzählt. Fehlgeschlagene Operationen wie diese erwähnte er nicht gern.
»Hier M«, hatte sich die androgyne Stimme am Telefon gemeldet.
Charmian hatte mittlerweile jeden Versuch aufgegeben, hinter das Geschlecht seines Auftraggebers zu kommen. Er vermutete, dass M durch ein Seidentuch sprach, das er - oder sie - über die Sprechmuschel gespannt hatte.
»M?«, fragte er.
»M wie Moschee. Was gibt es?«
»Was schätzt Tweed höher ein als seinen eigenen Erfolg?«
»Seine Assistentin Paula Grey, die ihm sehr nahe steht. Sie ist schlank, hat pechschwarzes Haar und ist ungefähr einen Meter siebzig groß. Sie …«
»Ich weiß, wie sie aussieht«, fiel Charmian seinem Auftraggeber ins Wort. »Ich habe sie schon gesehen. Ich melde mich in ein paar Tagen wieder.«
Bisher waren alle seine Versuche, Tweed zu töten, fehlgeschlagen: der Schuss auf dessen Wagen an der A303; der Unfall, in den er ihn mit seinem Volvo hatte verwickeln wollen; die Autobombe auf dem Gantia-Gelände; seine Schüsse auf das Ivy Cottage. Es war an der Zeit, die Taktik grundlegend zu ändern.
Und diesmal hatte er den richtigen Ansatz gefunden. Er würde diese Paula Grey entführen. Stundenlang hatte er in einem Gebüsch - nicht weit von einem Stadtstreicher entfernt - auf der Lauer gelegen.
Der Regen hatte Charmian wenig ausgemacht, da er einen schweren, wasserdichten Regenmantel und einen Südwester trug.
Charmian verfügte über große Geduld und Ausdauer. Bei Paula hatte es einen ganzen Tag lang gedauert, bis er sie endlich allein aus dem Haus hatte kommen sehen. Er hatte Hut und Regenmantel schnell abgelegt und das Seil und die Segeltuchplane gepackt. So gerüstet, hatte er Paula nachgesetzt.
Die Stimmung im Büro war bis zum Zerreißen angespannt, während Tweed und die anderen auf Charmians Anruf warteten. Marler war nach wie vor der Überzeugung, dass der Franzose Paula nur deshalb entführt hatte, um Tweed in eine Falle zu locken.
Obwohl Tweed nach außen hin ruhig und gefasst wirkte, wusste jeder, der ihn kannte, dass in seinem Inneren ein Vulkan brodelte. Er saß mit versteinerter Miene an seinem Schreibtisch, legte die Hände nebeneinander auf die Platte und gab seinen Leuten mit monotoner Stimme Anweisungen.
»Sobald es dunkel wird, fahren wir alle mit den Landrovern ins West Country. Die Strecke zeige ich Ihnen gleich auf der Karte. Es ist dieselbe, die Paula und ich bei unserem ersten Besuch auf Abbey Grange gefahren sind.«
Er wartete, bis Marler und Newman
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