Skelett
Paula, während sie auf die Häuser deutete.
»Kann ich nicht sagen. Als ich das letzte Mal hier war, sind mir derartige Häuser nicht aufgefallen. Sehen irgendwie seltsam aus, so eng beieinander.«
Auch Paula fand die Häuser, aus denen keinerlei Lebenszeichen drang, ziemlich unheimlich.
»Sehen Sie mal, was ich gefunden habe«, sagte Tweed auf einmal. Er war stehen geblieben und hatte mit der Fußspitze etwas Splitt am Straßenrand beiseite geschoben. Paula blickte nach unten und sah einen kleinen, schwarz glänzenden Ölfleck. Die Kirchenglocken läuteten immer noch und kamen Paula auf einmal ziemlich laut vor.
»Wir sollten jetzt zurückgehen«, sagte Tweed. »Aber zuerst sehen wir uns noch den Kirchturm an. Schade, dass wir kein Ohropax dabeihaben. Dieses Geläute ist ja fürchterlich.«
Kaum hatten sie die alte Tür am Fuß des Turms geöffnet und waren eingetreten, blieb Paula wie angewurzelt stehen. Sie starrte den seltsamen Kauz an, der an dem dicken Seil zog und die große Glocke hoch im Turm zum Klingen brachte. Es war ein grauhaariger, ungepflegt wirkender Mann, der Kordhosen und einen dicken Wollpullover trug, dessen Ärmel er bis zu den Ellbogen aufgekrempelt hatte. Paula schätzte ihn auf mindestens einen Meter achtzig.
Das Gesicht des Mannes, der wohl an die sechzig Jahre alt sein mochte, war hager und knochig. Die scharfe Hakennase, die dicken Augenringe, der verkniffene Mund und das breite, aggressive Kinn ließen ihn auf den ersten Blick nicht gerade sympathisch erscheinen. Obwohl der Mann ihr Eintreten bemerkt haben musste, zog er unbeirrt weiter am Glockenseil.
»Sind Sie Reverend Stenhouse Darkfield?«, rief Tweed.
»Der bin ich«, brüllte der Mann zurück. »Ich spiele hier den Küster, damit ich in Form bleibe. Und außerdem möchte ich meine Gemeinde daran erinnern, dass hier hin und wieder ein Gottesdienst stattfindet.«
Tweed schaute hinauf zu der mächtigen, unablässig hinund herschwingenden Glocke, die überhaupt nicht mehr zur Ruhe kam.
»Jetzt müssten Ihre Schäflein den Ruf der Glocke aber wirklich gehört haben«, schrie er dem Geistlichen ins Ohr.
»Lassen Sie das mal meine Sorge sein«, blaffte Darkfield ihn an.
»Wir wollten Ihnen eigentlich nur mal Guten Tag sagen.«
»Guten Tag!«, rief Darkfield. »Und auf Wiedersehen!« Tweed und Paula verließen den Turm und gingen in die alte Kirche daneben. Zum Glück dämpften die dicken Steinwände des Kirchenschiffs das Dröhnen der Glocke so stark, dass Tweed und Paula sich unterhalten konnten, ohne schreien zu müssen.
»Dieser Pfarrer war mir unsympathisch«, sagte Paula, während sie neben Tweed den Mittelgang der Kirche auf den Altar zuging. »Und außerdem fand ich ihn ziemlich unheimlich.«
Sie hatten den Altar noch nicht ganz erreicht, als Paula plötzlich stehen blieb und kreidebleich wurde. Sie packte Tweed am Arm und deutete auf den Altar.
Der Anblick, der sich ihnen bot, war grauenvoll. Mitten auf der Altarplatte lag ein offensichtlich frisch abgetrennter Kalbskopf, der sie aus toten Augen anglotzte. Aus dem Halsstumpf quoll Blut, das in schweren Tropfen auf den Steinboden vor dem Altar fiel.
»Die Sekte«, flüsterte Paula.
»Machen wir, dass wir hier rauskommen«, sagte Tweed. »Und dann holen wir unsere Sachen und fahren so schnell wie möglich zurück nach London.«
Noch nie hatte Paula ihre Sachen schneller in die kleine Reisetasche gestopft. Als sie nach unten in die Halle kam, wartete Tweed dort bereits abreisefertig auf sie.
»Sollten wir uns nicht wenigstens von Mrs Brogan verabschieden?«, fragte Paula.
»Nein. Wir machen uns sofort auf den Weg und sehen zu, dass wir so schnell wie möglich von hier wegkommen. Sie haben heute schon genug durchgemacht.«
»Die Glocke ist jetzt still«, stellte Paula fest, als sie neben Tweed durch den Nebel hastete. »Ich frage mich, ob das Läuten nicht Teil eines obszönen Opferrituals war. Vielleicht hat Reverend Darkfield ja selbst das Kalb geköpft. Er sieht jedenfalls so aus, als ob er dazu fähig wäre.«
»Wir sollten diesen Sektenunfug vergessen und uns lieber auf die beiden Morde konzentrieren«, sagte Tweed barsch, um sie aus ihren düsteren Gedanken zu reißen.
Aber Paula ließ sich nicht so leicht ablenken. »Einer, der einem Tier den Kopf abschneidet, bringt vielleicht auch Menschen um«, sagte sie.
Tweed blieb stehen. »Jetzt hören Sie aber auf, Paula. Ich habe genug von dem Thema. Und Sie auch. Genügen Ihnen denn die Albträume noch
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