Skelett
Der Täter hat sich seinem Opfer von hinten genähert, ihm den Kopf zurückgerissen, mit einem scharfen Messer die Kehle durchgeschnitten und dann mit einem Sägemesser einen der Halswirbel bis auf ein kleines Stück durchtrennt. Dafür hat er möglicherweise ein Messer mit einer Klinge verwendet, die auf der einen Seite rasiermesserscharf und auf der anderen Seite mit Sägezähnen versehen ist. Mit der scharfen Klinge hat er anschließend den Leichen große Stücke Fleisch von den Knochen geschnitten. Alle Leichen sind seit längerer Zeit tot; ihr Tod dürfte jeweils vor drei bis vier Monaten eingetreten sein. Können Sie mir bis hierher folgen?«
Die Diagnose war typisch für Saafeld. Nicht ein Wort zu viel. Ohne unnötig zu dramatisieren, gelang es ihm, den Hergang eines Verbrechens plastisch zu schildern, was mit ein Grund dafür war, dass Saafeld bei Strafverteidigern nicht sonderlich beliebt war. Mehr als einer dieser Rechtsanwälte hatte Tweed hinter vorgehaltener Hand gestanden, dass er es vor Gericht lieber mit einem anderen Pathologen zu tun hatte als mit Saafeld.
»Ja«, sagte Tweed. »Sieht ganz so aus, als ob hier ein Psychopath am Werke wäre. Oder was meinen Sie?«
»Sie wissen ja selbst, dass man einen Psychopathen nicht auf den ersten Blick erkennt, wenn er einem auf der Straße begegnet. Aber dass unser Täter mit Sicherheit psychotische Züge aufweist, steht für mich außer Frage. Dass er den Opfern Fleischstücke vom Skelett geschnitten hat, lässt keinen anderen Schluss zu.«
»Gibt es irgendwelche Hinweise darauf, dass sich die Opfer gewehrt haben?«, fragte Paula.
»Bei den Leichen aus dem Dartmoor kann ich dazu keine Aussage mehr treffen, bei denen war die Verwesung schon zu weit fortgeschritten. Aber auch bei Christine Barton würde ich es bezweifeln. Zumindest habe ich unter ihren Fingernägeln keine Hautpartikel gefunden.«
»Das könnte darauf hindeuten, dass sie den Täter kannte«, mutmaßte Tweed.
»Kann sein, muss aber nicht sein. Das herauszufinden ist Ihr Job.«
»Die Tatsache, dass zwei Leichen im Dartmoor und eine in London gefunden wurden, macht gewisse Hypothesen zunichte, die ich mir zurechtgelegt hatte«, sagte Tweed. »Gibt es denn noch etwas Besonderes zu dem Messer zu sagen, das der Täter benutzt hat?«
»Eigentlich nicht«, antwortete Saafeld achselzuckend und nahm einen Schluck Tee. »Selbst wenn wir einmal davon ausgehen, dass es ein Messer mit zwei unterschiedlichen Schneiden war, hilft uns das auch nicht viel weiter. Derartige Messer sind in vielen Küchen zu finden, möglicherweise auch im Werkzeugkasten eines Schreiners.«
»Trotzdem vielen Dank für Ihre Informationen.«
»War leider nicht viel, befürchte ich.« Saafeld schob sich einen Keks in den Mund und lächelte, was nicht allzu häufig vorkam. »Vermutlich hätten Sie gern gehört, dass meinen Berechnungen nach der Täter ein eins achtzig großer Mann mit dunklem Haar und einem Muttermal auf der linken Wange sein muss, aber damit kann ich Ihnen leider nicht dienen.«
»Tja, dann machen wir uns jetzt am besten wieder auf den Weg. Und richten Sie Ihrer Frau unseren Dank für das exzellente Gebäck aus. Bestimmt hat sie es selbst gebacken.«
»Bleiben Sie noch sitzen, Tweed. Ich habe da nämlich noch etwas für Sie«, sagte Saafeld. Er zog einen transparenten Asservatenbeutel aus seiner Tasche, in dem sich ein goldener Ring mit einem großen Diamanten befand. Das war typisch für den Pathologen. Saafeld überraschte einen immer gern. »Nehmen Sie diesen Ring mit«, sagte er. »Und wenn Sie wieder in Ihrem Büro sind, schauen Sie sich die Innenseite mal mit der Lupe an. Dort ist etwas eingraviert.«
»Wo haben Sie den Ring gefunden?«, fragte Tweed.
»Im Dartmoor, und zwar kurz bevor ich dort mit meinen Untersuchungen fertig war. Die Krankenwagen hatten die beiden Leichen bereits abtransportiert, und Buchanan war mit seinen Leuten schon auf dem Rückweg zum Hubschrauber. Da bin ich - gewissermaßen einer Eingebung folgend - noch einmal in den Grubenschacht hinuntergestiegen, in dem wir das Skelett der Frau vorgefunden haben, und habe dort mit einem Stock im Boden herumgestochert. Und dabei habe ich wie durch Zufall den Ring gefunden.«
»Glauben Sie denn, dass der Ring ursprünglich von der Frau getragen wurde?«
»Davon gehe ich aus. Der Killer muss ihn übersehen haben.«
»Spannen Sie uns nicht auf die Folter. Wie lautet denn nun die Gravur?«
»›Von Lee für
Weitere Kostenlose Bücher