Skelett
davon erfährt, ist der Büchsenmacher ein toter Mann.«
»Wo haben Sie die Hülse gefunden?«
»Im hohlen Stamm dieser Tanne auf dem einzigen Hügel weit und breit. Von dort aus hat er auf Sie geschossen. Typisch französische Vorgehensweise.« Er zündete sich eine Zigarette an.
»Würden Sie mir verraten, was das zu bedeuten hat?«
»Aber gern. Bevor ich London verlassen habe, hatte ich noch ein kurzes Treffen mit Marin, meinem besten Informanten in Europa.«
»Heißt er wirklich so?«
»Selbstverständlich nicht«, sagte Marler. »Das ist sein Deckname. Sie wissen doch, wie sehr ich auf die Sicherheit meiner Informanten bedacht bin.«
»Spannen Sie uns nicht auf die Folter, Marler, und erzählen Sie uns endlich, was er Ihnen gesagt hat.« Allmählich wurde Tweed ungeduldig.
»Marin hat von einem Schiff erfahren, das auf der Île des Oiseaux - in der Nähe der berühmten Insel Château d’If vor Marseille - eine Mannschaft an Bord nehmen und dann in See stechen soll. Und zwar mit dem Ziel, irgendwo in Europa Sprengköpfe aufzunehmen, die für Angora bestimmt sind, ein Land, das immer aggressiver wird. Die Raketen hat das Regime dort ja bereits aus Nordkorea erhalten. Kim Jong Il, der nordkoreanische Diktator, ist ein schlauer Fuchs, aber in diesem Fall war er wohl ein bisschen zu schlau, denn er hat die Sprengköpfe mit einem zweiten Schiff verschickt. Und das ist im Japanischen Meer mit einem amerikanischen Zerstörer kollidiert, worauf es mit seiner gesamten Ladung gesunken ist. Kim hat von Angora trotzdem die Bezahlung der Sprengköpfe verlangt, aber das Regime hat sich geweigert und eine andere Bezugsquelle gefunden.«
»Welche?«, fragte Tweed.
»Das konnte Marin nicht sagen. Wenn das Schiff kommt, teilt er mir das in einer verschlüsselten Botschaft mit. Dann können wir uns die Insel, die übrigens schwer bewacht wird, ja mal näher anschauen.«
»Es ist schon lange her, dass ich das letzte Mal in Marseille war.« Tweed stand auf, schlenderte ans Fenster und steckte die Hände in die Hosentaschen. Paula wusste genau, was diese Haltung zu bedeuten hatte: Tweed dachte nach.
Schließlich drehte sich Tweed zu Newman um. »Sieht ganz so aus, als ob diese Mordfälle wirklich nur die Spitze eines Eisbergs wären. Kann sein, dass eine ungeheure Verschwörung hinter allem steckt. Aber um das sicher sagen zu können, muss ich noch einiges herausfinden - zum Beispiel wo Gantia seine Waffen produziert.«
»Fragen Sie doch einfach Lucinda morgen beim Abendessen«, schlug Paula vor. »Am besten dann, wenn sie schon ein paar Gläser intus hat.«
Tweed ging auf diese Neckerei nicht ein. »Ich gehe jetzt nach Hause«, sagte er. »Dort kann ich besser nachdenken.«
»Ich fahre Sie«, sagte Newman. »Wer weiß, vielleicht will Ihnen dieser französische Killer ja noch einmal ans Leder.«
»Ich brauche keinen Babysitter«, knurrte Tweed.
»Sie haben keine andere Wahl«, entgegnete Newman kategorisch.
Bevor Tweed am nächsten Tag ins Büro kam - erst am frühen Abend, was sonst überhaupt nicht seine Art war -, machte er noch einen Besuch bei Anne Barton.
»Ich bin Ihnen sehr dankbar, dass Sie mir zwei von Ihren Leuten geschickt haben«, sagte sie, nachdem sie ihn freundlich begrüßt hatte. »Pete - das heißt, Mr Nield - räumt gerade die Küche auf. Er hat mir etwas gekocht. Und Harry Butler verwandelt mein Haus in eine Festung. Ich fühle mich schon wesentlich sicherer.«
Sie saßen im Wohnzimmer. Anne sprach lebhaft und machte einen relativ entspannten Eindruck auf Tweed. Er vermied es jedoch, sie auf die schmerzhafte Erfahrung anzusprechen, welche die Identifizierung ihrer Schwester Christine in Saafelds Leichenschauhaus für sie gewesen sein musste. Nield brachte den beiden Tee und ließ sie dann allein.
»Ich komme mir ziemlich dumm vor«, fuhr Anne fort.
»Aber es gibt da etwas, was ich Ihnen schon längst hätte sagen sollen. Wegen der gestrigen Ereignisse habe ich es völlig vergessen …«
»Besser spät als nie«, munterte Tweed sie auf. »Ich bin ganz Ohr.«
»Als ich vor drei Monaten anfing, mir ernsthafte Sorgen wegen Christines Verschwinden zu machen, habe ich einen Exfreund, der bei der Polizei ist, angerufen und ihn gefragt, ob er mir einen guten Privatdetektiv nennen kann. Er hat mir daraufhin einen gewissen John Jackson empfohlen, der früher einmal Inspektor bei Scotland Yard gewesen ist. Angeblich ein hervorragender Kriminaler, der aber mit dem Polizeiapparat nicht so gut
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