Skin Deep - Nichts geht tiefer als die erste Liebe (German Edition)
überhaupt bewegt hatte, stand Ryan neben uns.
Sie wedelte abwehrend mit der Hand. »Geh Tee kochen und lass uns allein.«
»Mum, hör auf!«
»Das Wasser kocht«, sagte sie ruhig und stupste ihn gegen das Bein.
»Es tut mir leid«, sagte er leise und ging an uns vorbei.
Ich schenkte ihm ein Schon-okay-Lächeln. Ich war mir nicht sicher, ob es wirklich okay war, aber ich wollte nicht, dass er sich Sorgen machte. Dann schoss mir ein komischer Gedanke durch den Kopf. Wenn er Sadie mit nach Hause brachte, würde seine Mutter ihr dann eine »entorangisierende« Creme anbieten? Ich unterdrückte ein Kichern.
»Kein Arzt könnte dir was Besseres verschreiben«, sagte seine Mutter jetzt stolz. »Ich hole dir welche, du kannst sie mit nach Hause nehmen. Ist selbst gemacht.«
In der Küche packte Ryan sie am Arm. »Mum, hör auf, bitte«, knurrte er.
Sie tätschelte seine Hand. »Was für ein liebenswertes Mädchen«, sagte sie und verschwand irgendwo hinten im Boot.
Er brachte den Tee und reichte mir einen fröhlich aussehenden Emaillebecher, auf den große Blumen gemalt waren. »Pass auf. Das Blech wird heiß und verbrennt dir den Mund. Lass ihn erst abkühlen.« Er warf einen Blick hinter sich. »Es tut mir so, so leid.«
»Muss es nicht. Sie ist nett.« Verglichen mit meiner Mutter und all den anderen Müttern, die ich kannte, war sie wirklich seltsam. Aber sie hatte mich direkt angesehen und war nicht zurückgezuckt, und ich glaube nicht, dass er sie vorgewarnt hatte. Als sie meine Narben betrachtet hatte, lag kein Mitleid in ihrem Blick, sondern etwas anderes. Etwas, das man, glaube ich, Empathie nannte. Als ob sie mich verstand. Als ob sie Dinge wahrnahm, die andere nicht bemerkten.
Sie tauchte mit einem Glasgefäß wieder auf. »Probieren wir’s mal aus.«
»Oh, ich muss sehr aufpassen, was ich auf …«
»Da ist nichts drin, was dir schaden könnte, Liebes.« Sie schraubte den Glastiegel auf und hinter ihr trat Ryan von einem Fuß auf den anderen. Dann entnahm sie mit dem Mittelfinger einen Klecks Creme. »Da sind nur eine ganze Menge guter Sachen drin. Die Farbe kommt von den Karotten, doch es sind auch Heilkräuter aus der Erde und dem Meer dabei. Das ist eine Verbrennung, oder?«
»Mum!«
»Ach, Ryan, setz dich hin!« Sie begann am oberen Rand des Narbengewebes und verstrich die Creme sanft auf meiner Wange. »Er ist manchmal so unruhig. Sie ist transplantiert worden, oder? Ich denke, die Farbe verblasst mit der Zeit. Wie fühlt sich das an?«
»Gut«, sagte ich, überrascht darüber, dass es wirklich so war.
Sie trug noch mehr Creme auf mein Gesicht und meinen Hals auf. »Auch Narben sind schön. Sie sind ein Abzeichen, das wir tragen, um aller Welt zu zeigen, dass wir gelebt haben.« Sie schob einen Finger unter mein Kinn und hob es an. »Und dass wir überlebt haben. Sie haben eine ganz eigene Schönheit.« Sie schraubte den Deckel wieder auf das Glasgefäß und gab es mir. »Behalte sie.«
Es gab zwei Möglichkeiten: Entweder war sie komplett durchgeknallt oder sie hatte recht. Zweifellos war es eine völlig andere Art, die Dinge zu betrachten. Obwohl mit Sicherheit nie eine Zeit kommen würde, in der sich Models ein heißes Bügeleisen auf die Haut klatschten, um vorzutäuschen, dass sie »gelebt« hatten.
Ryan hatte die Augen geschlossen und sah aus, als ob er durch den Boden und dann direkt im Kanal versinken wollte. Ich verstand ihn, Eltern konnten echt eine
Qual
sein. Meine jedenfalls.
Ich sah auf seinen Becher. »Was trinkst du?«
»Ingwer. Macht wach.« Wütend funkelte er seine Mutter an, die neben ihrem Sessel in einer Kiste wühlte, aber sie beachtete ihn gar nicht. »Hast du Hunger?«
»Nein, ich hab schon gefrühstückt, und wenn ich zurückkomme, ist bestimmt das Mittagessen fertig. Ehrlich, manchmal denke ich, das Einzige, was wir sonntags machen, ist essen. Abends fühle ich mich immer total vollgestopft.«
»Ich kann mir nicht vorstellen, dass du viel isst«, sagte er und musterte mich. Ich war unsicher, ob ich mich geschmeichelt fühlen sollte, weil er mich nicht für fett hielt, oder ob ich besorgt sein musste, weil er mich zu dünn fand.
»Doch. Ich esse unglaublich viel. Aber Mum steht auf Bio und Vollwert, deshalb ist es alles nur gesundes Zeug.«
Er nickte düster und voller Mitgefühl.
»Das ist sehr weise«, erwiderte seine Mutter, die auf ihrem Schoß Kristalle zählte. »Essen kann uns heilen oder vergiften –«
»Ich zeige Jenna jetzt mal das Boot!«,
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