Skin Deep - Nichts geht tiefer als die erste Liebe (German Edition)
sein. Die Leute fuhren anscheinend viele Kilometer bis hierher.
Der süße Geruch gerösteter Maronen auf dem Grill ließ mir das Wasser im Mund zusammenlaufen. Ich hielt in der Menge Ausschau nach Jenna. Wir wollten uns eigentlich am Uhrenturm im Stadtzentrum treffen, doch wenn ich sie auf dem Weg dorthin entdeckte, konnte ich ihr hinterherlaufen und sie ein bisschen erschrecken.
Ich hörte den Tumult, bevor ich ihn sah. Eine Stimme, die alle anderen Gespräche übertönte. Mir gefror das Blut in den Adern.
»Kommen Sie her! Sie da! Sie wollen das hier bestimmt kaufen … warum tun Sie so, als ob Sie mich nicht hören könnten? Sehen Sie mich an! Ich bin nicht unsichtbar. «
Die Menge vor mir zerstreute sich. Die Leute eilten davon, typisch für eine Kleinstadt, wo so ein Auftritt für ein genauso schlimmes Verbrechen gehalten wurde wie Mord. Innerhalb weniger Sekunden leerte sich die Marktreihe, in der ich mich gerade befand. Die Leute gingen zu anderen Ständen. Ihre Blicke schienen an den Auslagen zu kleben, aber in Wirklichkeit beobachteten sie verstohlen das Spektakel.
Sie beobachteten die verrückte Frau, die niemand Bestimmten und gleichzeitig jeden anschrie. Meine Mum.
»Aha, ich bin also unsichtbar, ist es so? Nun, dann zum Teufel mit Ihnen! Zum Teufel mit euch allen und eurem beschissenen Leben!«
Als sie mehrere Handvoll Perlen und Ketten zusammenklaubte, sahen alle zu und schauten doch gleichzeitig peinlich berührt weg.
»Wer will kaufen? Wer will kaufen?«, sang sie jetzt, das Lied stammte aus einem Musical. Sie hatte es mir immer vorgesungen, als ich noch ein Kind war. Ich saß damals auf ihren Knien und sie trällerte es mir ins Ohr. Nur für mich.
Sie hatte mich noch nicht entdeckt. Vor lauter Scham stellten sich meine Nackenhaare auf und ich versteckte mich hinter dem nächstbesten Stand.
Mum wirbelte herum, tanzte zur Musik in ihrem Kopf, breitete die Arme aus und blickte in den Himmel. Perlen fielen ihr aus den Händen und landeten klackernd auf dem Pflaster.
»Keiner von euch ist frei!«, brüllte sie. »Ihr habt alle Angst, ihr selbst zu sein.«
Ich wusste, ich musste sie stoppen, aber ich konnte mich nicht bewegen. Ich stand da wie angewurzelt.
Dann sah ich, wie eine vertraute Gestalt auf sie zu marschierte, und hielt den Atem an.
»Karen! Hey, Karen!«
Mum drehte sich um.
Jenna eilte auf sie zu. »Hallo, ich hab gar nicht gesehen, dass Sie hier drüben sind. Ich laufe schon ewig hier rum. Packen Sie gerade zusammen? Wollen wir einen Kaffee trinken? Da drüben ist ein tolles Café. Ich sterbe vor Hunger. Ich wette, Sie auch. Sollen wir gehen?«
Mums Arme, die sie immer noch starr ausgestreckt hielt, sanken langsam herab und umarmten Jenna. Sie schien jetzt wieder zu sich zu kommen. »Oh, hallo, meine Liebe.«
»Ich helfe Ihnen beim Einpacken«, sagte Jenna. »Wenn wir jetzt gehen, sparen wir uns das größte Gedrängel. Die haben auch Biokuchen – der Bananen-Nuss-Brownie ist bestimmt vegan. Der wird Ihnen schmecken.« Jenna redete mit ihr, als ob nichts Besonderes passiert wäre. Als ob Mum einfach irgendeine ganz normale Frau wäre, die sie kannte. Sie nahm Mums Hand und zog sie zurück zum Stand. »Lassen Sie uns das hier wegräumen.« Sie reichte Mum eine Kiste. Langsam und wie betäubt sammelte Mum ihre Sachen ein.
Jenna sprach weiter. »Diese Halskette aus gelben Kristallen ist wunderschön, Karen. Machen Sie davon noch mehr?«
Nach und nach kam Bewegung in die Menge, und die Leute unterhielten sich wieder, erst nur leise, um die Verrückte im Auge zu behalten, dann lauter – bis sich alles normalisiert hatte.
Meine Hände zitterten, und in meiner Kehle steckte ein Kloß, der sich anfühlte wie aus Granit. Denn Jenna, Jenna, die es hasste, wenn die Leute sie anstarrten, hatte
das
getan.
Ich zwang meine Beine dazu, sich zu bewegen.
Ich ging rüber, um ihnen zu helfen, nahm eine Kiste und stopfte Sachen hinein. Ich brachte kein Wort heraus.
Schweigend packten wir zusammen. Mum sah aus, als ob sie gar nicht richtig da wäre und als ob sie auch nicht wahrnahm, dass ich gekommen war. Jenna stapelte die Kisten übereinander, und ich hob sie hoch und klemmte sie mir unters Kinn, damit sie nicht runterfielen. Jen hakte Mum unter. »Gut, und jetzt ins Café, ich lade euch ein!«
Langsam ging ich hinter ihnen her.
Wir setzten uns an einen Tisch am Fenster und Mum starrte durch die Scheibe auf die Straße. Die Bedienung kam und nahm unsere Bestellung auf. Während wir
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