Skiria: Am Berg der Drachen (German Edition)
Angreifers in ihrem Schlund verschwinden. Spitze Zähne bohrten sich in das Fleisch, immer weiter, bis der Drache mit einem kräftigen Ruck den Schädel der Kreatur vom übrigen Körper trennte. Aus dem kopflosen Leib schoss ein Blutstrom heraus, der seinen Schuppenpanzer besudelte. Das geschundene Biest schwankte und fuchtelte mit seinen Armen über die Stelle hinweg, an der sein Kopf die letzten dreißig Jahre über gesessen hatte. Schließlich stürzte es leblos zu Boden.
Währenddessen spuckte der Drache lässig den hässlichen Kopf aus und befreite sich mit einem Schütteln von den Blutspritzern, die an seinen Schuppen abperlten wie Wasser an Gänsefedern. Skiria schluckte, als die blutige Trophäe vor ihre Füße kullerte.
Ungläubig erkannte das Mädchen, dass der Drache sie gerettet hatte. Langsam stand Skiria auf und rieb ihr Handgelenk, in das sich schmerzende rote Druckstellen gegraben hatten. Der Anstand gebot es wohl, dass sie dem Drachen dankte, doch es widerstrebte ihr, zu dem Ungeheuer freundlich zu sprechen. Konnte ihr nicht ein Mensch oder irgendein anderes Wesen zur Hilfe eilen? Musste es ausgerechnet ein Drache sein?
„Danke“, kam fast tonlos über ihre Lippen, bevor sie sich umdrehte und sich anschickte, den Koloss zu verlassen.
„Warte!“, rief das Tier. Skiria hielt erschrocken inne. War der Blutdurst des Ungetüms etwa doch noch nicht gestillt?
„Ich bin Ramin, und du?“, fragte der Drache.
Sie zögerte ein wenig. Ob es sich um eine Falle handelte? Doch hätte das Ungetüm, das sogar einen Namen trug, sie sonst vor dem gefährlichen Angreifer beschützt? Immer noch abwartend sah Ramin sie fragend an. Langsam nickte das Mädchen und besann sich sodann wieder auf ihre gute Erziehung.
„Mein Name ist Skiria“, stellte sie sich vor und dachte gleichzeitig, dass wohl ihr Verstand unter der beschwerlichen Reise gelitten haben musste. Anstatt vor ihr wegzulaufen, ließ sie sich auf eine Unterhaltung mit der Bestie ein.
„Warte hier, ich komme gleich wieder!“, rief Ramin aufgeregt und stampfte eilig davon. Doch Skiria nutzte auch diese hervorragende Gelegenheit nicht, um zu fliehen. Zu sehr hatte sie es genossen, endlich wieder mit jemanden zu sprechen. In der Sorge um das Überleben hatte Skiria verdrängt, wie einsam sie sich eigentlich fühlte. Sie kannte niemanden hier in der Fremde und freute sich nun insgeheim, dass sie endlich wieder mit jemandem sprechen konnte. Selbst, wenn es sich dabei um einen Drachen handelte.
Beinahe eine Stunde verging, ehe Ramin zurückkehrte. In seinem Maul hing ein zerfetztes Reh, das er nun fallen ließ, um schließlich tief Luft zu holen und einen Rauchschwall aus seiner Kehle zu entlassen. Als das Wildtier gar war, verzehrte Skiria gierig eine Keule. Ramin verschlang laut schmatzend beinahe das ganze restliche Fleisch. Als sie ihr Mahl beendet hatten, platzte das Ungetüm jäh heraus: „Willst du meine Höhle sehen?“
Skiria, die aus der Begegnung mit der Riesenechse bislang nur profitiert hatte, fragte sich, ob es nicht zu weit ginge, wenn sie dem Drachen nun auch noch in seine Behausung folgte. Immerhin handelte es um einen Waldbewohner, der sehr gefährlich werden konnte. Was würde sie erwarten, wenn seine Stimmung plötzlich umschlug und er sich unvermittelt in eine wilde Bestie verwandelte?
Doch Ramin wartete ihre Antwort erst gar nicht ab, sondern begann, einen Weg durch das Dickicht für sie freizutrampeln, in der Erwartung, das Mädchen folge ihm wie selbstverständlich. Schulterzuckend setzte sich Skiria in Bewegung, nicht ohne die Rehkeule zu schultern, die Ramin übriggelassen hatte. Was konnte sie schon verlieren?
Ihr Marsch führte die beiden in ein Waldgebiet, in dem große, moosbewachsene Felsen den Eindruck erweckten, kein menschliches Wesen hätte sie jemals berührt. Vorbei an tiefen Schluchten, in deren Abgründen sich rauschende Wassermassen ihren Weg suchten und kleineren Anhöhen, von deren höchstem Punkt man jedoch keinerlei Aussicht genießen konnte, da Buchen und Tannen den Blick in die Weite versperrten. Skiria fand es reichlich sonderbar, hinter einem Drachen herzulaufen und zweifelte, ob sie richtig entschieden hatte, Ramin bis in seine Höhle zu begleiten. Ständig sah sie sich nach einer Möglichkeit zur Flucht um, falls sich das Ungeheuer doch noch dazu entschließen sollte, sie anzugreifen.
Ein gewaltiger Felsen türmte sich vor ihnen auf, als sie schließlich stehen blieben. In seiner Mitte
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