Skiria: Am Berg der Drachen (German Edition)
Drachenkraut ist unser Lebenselixier. Wir brauchen regelmäßig kleine Stränge davon und halten es nur einige Tage aus, ohne davon zu essen.“
„Das heißt, ihr würdet ohne den Genuss dieser Substanz sterben?“
Ramin nickte zufrieden. Sie verstand.
„Das Kraut wächst ausschließlich in den Tiefen eines Sees, der sich im Inneren des Drachenberges befindet. Es ist die einzige Stelle im gesamten Reich, an der man es finden kann. Über den Berg herrscht die Drachenkönigin. Sie kann bestimmen, wer das Kraut bekommt. Aber glaube mir, kein Drache hat Freude an diesem schrecklichen Ritual. Es liegt nicht in unserer Natur, Menschen zu jagen – wir bevorzugen Trolle und Wildgetier.“
„Hast du denn auch schon Menschen entführt?“
„Nein, dafür bin ich noch zu jung. Aber meine Mutter ist vor wenigen Tagen ausgezogen, um neues Drachenkraut zu besorgen. Ich wünschte, ich könnte sie aufhalten. Ich wünschte, es läge in meiner Macht, die Drachenkönigin umzustimmen.“ Ramin wirkte traurig. „Nun, da ich dir begegnet bin und vom Schicksal deines Vaters erfahren habe, möchte ich der Regentin am liebsten beweisen, dass nicht alle Menschen schlecht sind, sondern uns nur jagen, weil sie Drachen für eine Gefahr halten. Was wir natürlich nicht sind. Durch diesen barbarischen Brauch, unschuldige Leute zu entführen, verstärkt sich der Hass der Menschen nur noch mehr. So wird die Jagd auf die Drachen nie enden.“
Es klang überzeugend.
„Hat denn nie jemand versucht, die Drachenkönigin von ihrem Erlass abzubringen?“, erkundigte sich Skiria, doch Ramin verneinte betrübt. Einige Augenblicke hingen beide still ihren Gedanken nach. Während Skiria ihres Vaters gedachte und die Drachenkönigin heimlich verfluchte, reifte in Ramins mächtigem Kopf ein gewagter Plan.
„Wir sollten zur Drachenkönigin gehen und mit ihr reden!“, platzte er schließlich heraus.
„Wir – etwa du und ich?“ Verblüffte Blicke trafen die schuppige Kreatur. „Natürlich! Du bist der lebende Beweis dafür, dass nicht alle unserer menschlichen Mitgeschöpfe den Drachen nach dem Leben trachten. Erzähl’ der Königin von deinem Vater, und dass die Menschen durch ihren Befehl nur noch mehr nach uns jagen werden! Das wird sie gewiss überzeugen. Ich bringe dich hin. Dir wird nichts geschehen!“
‚Eine völlig abwegige Idee’, dachte Skiria und öffnete ihren Mund um abzulehnen. Doch im letzten Moment klappte sie ihn wieder zu. Wenn ihr Weg nicht zu der Regentin des Drachenreiches führte, wohin sollte sie stattdessen gehen?
Zurück nach Runa? Dort würden engstirnige Bürger eine grausame Strafe für die vermeintliche Diebin bereithalten. Allein im Wald weiter ziehen, ohne jegliche Orientierung und darauf hoffen, dass in dem unüberschaubaren Gebiet bald eine Siedlung auftauchte, bevor sie verhungerte? Eigentlich existierte keine sinnvolle Alternative. Doch ein Besuch bei der Drachenkönigin könnte sie womöglich ebenfalls ihr Leben kosten. Wie lange mochte eine Reise dorthin überhaupt dauern? Mit einem neunzehn Ellen langen Monstrum würde sich der Marsch mühselig gestalten. Skiria bemerkte, wie Ramin gespannt auf eine Antwort wartete.
„Also gut. Ich werde mit dir gemeinsam zur Drachenkönigin gehen.“
Als die Worte ausgesprochen waren, bereute das Mädchen augenblicklich ihre Entscheidung. Was tat sie da nur? Doch nun war es zu spät, um ihren Entschluss zu widerrufen.
Zufrieden leckte sich Ramin ein letztes Mal über sein Maul, bevor er seinen langen Hals nach hinten bog und einen schauerlichen Schrei ausstieß. Drachen, so erkannte Skiria, pflegten ihre Freude auf merkwürdige Weise kundzutun.
VI.
Janus wirkte zufrieden. Dass nun drei Kameraden und eine Kameradin mit ihm durch die Wälder zogen, brachte Vorteile mit sich. Wegelagerer und angriffslustige Waldbewohner bevorzugten eher allein Reisende und hielten sich von Gruppen fern. Sollte trotzdem ein Räuber einen Überfall wagen, hatten sie weitaus bessere Chancen, sich zu verteidigen als eine einzelne Person.
Der große Schwarzhaarige erweckte zwar den Eindruck eines jähzornigen Egoisten, doch er schien sich in den Wäldern gut auszukennen und führte sie zielsicher durch Gebiete, in denen jeder andere wohl die Orientierung verloren hätte. Nun streifte Janus nicht mehr planlos durch die Gegend, sondern hatte eine Aufgabe und ein Ziel. Drachen aufzuspüren, fand er spannend und sinnvoll, und auch die Stadt zog ihn magisch an. Eventuell
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