Skiria: Am Berg der Drachen (German Edition)
spaltete ihn ein breiter Riss in zwei Teile und gab somit einen Weg frei, der ins Innere des Steins führte.
„Dort hinein?“, fragte Skiria ungläubig, und Ramin bestätigte dies durch ein freudiges Schnauben.
„Am besten, ich gehe wieder vor“, riet er und setzte sich in Bewegung. Als er erneut zu sprechen begann, befand Ramin sich bereits in dem Gang, und seine Worte hallten von den Steinwänden wider.
„Der Weg führt zu unserer Höhle.“ Skiria stutzte.
„Wieso unserer?“
„Meine Mutter lebt noch hier, aber sie ist auf Reisen und ich bin allein...“
Der Rest seines Satzes verschwamm im Echo, das seine Worte mehrfach wiedergab: „... bin allein ... allein ... allein ...“
Angestrengt spähte Skiria in die Dunkelheit und erkannte gerade noch, wie er hinter einer Biegung verschwand. Unschlüssig stand sie vor dem Eingang. Sollte sie wirklich dort hinein gehen? Es blieb keine Zeit, diese Entscheidung lange hinauszuzögern, wenn sie den Anschluss an Ramin nicht verlieren wollte. Beherzt trat sie ein. Zuerst mit langsamen, vorsichtigen Schritten, die sich dann jedoch schnell beschleunigten, um Ramin wieder einzuholen. Zu ihrem Entsetzen stellte sie fest, dass der Gang bald nach unten abfiel.
Die Drachenhöhle musste unterirdisch liegen. Feuchte Kälte kroch Skiria in den Nacken, als das ungleiche Paar den finsteren Tunnel hinab stieg.
Je tiefer der Gang unter die Erde führte, umso mehr verbreiterte er sich und mündete schließlich in eine riesige Tropfsteinhöhle. Staunend betrachtete Skiria die Kunstwerke aus Stein, deren bizarre Formen von der Höhlendecke hinab wuchsen. Ihnen reckten sich ebensolche Gebilde vom Boden aus entgegen.
Weit oben fiel ein dünner Lichtstrahl durch eine kleine Öffnung und erzeugte dort, wo er auftraf, ein verräterisches Glitzern. Die Sonne brach sich in einem unterirdischen See, dessen schwarzes Wasser in der Dunkelheit kaum von den umliegenden Felsen zu unterscheiden war.
„Hier lebe ich mit meiner Mutter, aber die ist zurzeit verreist.“ Ramins Stimme klang hier unten sonderbar hohl. Die Abwesenheit der Mutter kam Skiria durchaus gelegen. Wenn es sich bei Ramin um ein Jungtier handelte, so musste ein ausgewachsener Elternteil Ausmaße besitzen, gegen die Ramin zierlich wirkte. Langsam gewöhnten sich Skirias Augen an die Dunkelheit. Ramin trottete zu einem aufgetürmten Haufen und fuhr mit einer Klaue hinein. Das raschelnde Geräusch erinnerte Skiria an getrocknete Blätter. Als sie sich bückte und ihre Hand ausstreckte, bestätigte sich ihre Vermutung. Ramin wirbelte das Laub ungestüm auf, sodass es bald überall verstreut lag. Eine ganze Weile sah Skiria ihm dabei zu, bis sie endlich zu fragen wagte:
„Was machst du da?“
Ramin unterbrach sein Treiben kurz und schnaubte: „Ich bereite dir eine Schlafstatt!“
Das Mädchen wünschte, sich verhört zu haben. Niemals wäre sie dazu bereit, in einer Drachenhöhle zu übernachten, womöglich noch direkt neben dem Ungeheuer. Es musste sich um eine Falle handeln. Über sein schlafendes Opfer herzufallen, dürfte ein leichtes Spiel für Ramin sein. Ein schlauer Plan, doch Skiria hatte ihn durchschaut. Bevor Ramin sie aufhalten konnte, flüchtete Skiria durch den Felsenkorridor nach oben. Auf halber Höhe hallte Ramins Stimme ihr nach.
„Wo willst du hin?“
Ohne zu antworten beeilte sich Skiria, rasch wieder in die Freiheit zu gelangen.
Sie lief, bis die Nacht hereinbrach. Nach diesem anstrengenden Tag hätte sie sich lieber schlafen gelegt, doch die Furcht vor dem hinterhältigen Biest ließ sie noch lange Strecken in der Dunkelheit zurücklegen. Erst, als die Entfernung zur Drachenhöhle ausreichend erschien, um sich vor der Bestie sicher zu fühlen, erlaubte sie sich auszuruhen. Beinahe ein wenig wehmütig stillte sie ihren Hunger mit der Rehkeule, die während der gesamten Zeit von ihrer Schulter gebaumelt hatte. Es handelte sich wohl um ihre vorerst letzte anständige Mahlzeit. Kaum hatte sie ihren erschöpften Leib auf dem Boden ausgestreckt, übermannte Skiria der Schlaf.
Im Morgengrauen erschienen Drachen in ihren Träumen, bliesen ihr feurige Fontänen ins Gesicht und rissen immense Mäuler auf, um furchterregende Gebisse zur Schau zu stellen. Schweißgebadet wachte sie auf. Es dämmerte bereits, doch das Tageslicht schimmerte erst schwach. Benommen rieb sich Skiria die Augen und stellte einen Moment später fest, dass sie nicht allein war.
Der Morgendunst ließ die
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