Skiria: Am Berg der Drachen (German Edition)
sensible Nase den Geruch frischen Drachenblutes wahrnahm, ahnte er Schreckliches.
„Mutter?“ Ein unheilvolles Stöhnen verriet, dass sich jemand in seiner Nähe befand.
„Bist du es?“
Ramin konnte kaum erwarten, den Zustand seiner Mutter zu erfahren. Nur wenige Schritte trennten sie. Die Drachendame lag reglos am Boden. Einzig ihr klägliches Wimmern deutete darauf hin, dass sie noch lebte. In ihrem Fleisch steckten zahlreiche Pfeile, die tiefe Wunden verursacht hatten, aus denen ihr Lebenssaft über ihren geschundenen Leib herab troff wie das zähflüssige Harz eines Baumes. Als sich Ramin über sie beugte, spürte er ihren Atem, der stoßweise aus dem leicht geöffneten Maul drang.
„Mutter?“, sprach er sie zaghaft mit heiserer Stimme an.
Trotz ihrer Pein schien Ramira ihren Sohn zu erkennen.
„Ramin, mein Kind!“ seufzte sie schwerfällig.
„Wie kann ich dir nur helfen?“, fragte Ramin ratlos und gab sich einen Augenblick später selbst die Antwort: „Ich werde nach Lebenskräutern suchen und deine Wunden damit bedecken.“
Fieberhaft begann er, den moosigen Waldboden nach den seltenen Heilpflanzen abzusuchen, obwohl die Aussicht, sie ausgerechnet in diesem Waldstück zu finden, sehr gering schien.
„Du kannst nichts mehr für mich tun. Meine Zeit geht zu Ende“, widersprach Ramira schicksalsergeben. „Doch sei nicht traurig! Du hast dein Leben noch vor dir.“
Hastig trampelte Ramin zur Mutter zurück, um hilflos seinen schuppigen Kopf an ihrem malträtierten Leib zu reiben.
„So etwas darfst du nicht sagen! Gewiss wirst du bald wieder gesund sein.“
Doch der fehlende Glanz in ihren Augen und ihre schwerfällige Stimme verrieten das Ausmaß der Schwäche. Trotzdem quälten sich einige Sätze aus ihrem Maul, leise und stockend: „Was immer du auch tust, ich werde bei dir sein. Vergiss das nie! Bereite diesem sinnlosen Treiben ein Ende! Sprich mit der Drachenkönigin und erzähle ihr von meinem Schicksal! In Wahrheit hat sie ein gutes Herz. Früher war sie gnädig und gerecht, doch der Hass der Menschen ließ sie verbittern.“
Durch die Anstrengung, die Ramins Mutter das Sprechen bereitete, pressten sich zusammen mit ihren Worten winzige Dampfwölkchen aus dem Rachen, die in kleinen Ringen aufwärts stiegen und den Anschein gaben, als rauchte Ramira ein Pfeifchen. Ihre Augen schlossen sich.
„Mutter?“, fragte Ramin noch einmal besorgt.
„Ramin, du wirst es schaffen. Du wirst...“
Ramin schreckte zusammen, als sich Ramiras Körper ein letztes Mal aufbäumte, um danach starr liegen zu bleiben.
Er hatte seine Mutter verloren.
In den nächsten Stunden harrte Ramin reglos bei der Toten aus. Unaufhaltsam brach die Nacht herein und ließ die Silhouetten der beiden Tiere grau erscheinen. Starr hockte der Sohn vor seiner toten Mutter. Bilder vergangener Zeiten zogen an ihm vorbei. Erinnerungen. Seine gütige, starke Mutter. Dass sie für ihn ein Vorbild darstellte, hätte Ramin ihr noch gerne gesagt. Nun war es zu spät.
Eine Bewegung ließ ihn für einen Moment aus seiner Starre erwachen. Er sah nach oben, wo zwei Fledermäuse durch die Luft flatterten. Die Sichel des Mondes, die zwischen den Baumwipfeln hervor leuchtete, bot ihnen eine gespenstische Kulisse, vor der sich ihre Schatten deutlich abzeichneten, bevor die Tiere wieder im konturenlosen Blattdickicht verschwanden. Ruhig lag die Nacht über dem Wald. Zu ruhig. Denn Ramin wusste, dass er nun völlig allein war. Die Mutter tot, Skiria entführt. Ein Rascheln im Gebüsch ließ ihn auffahren.
„Skiria?“, versuchte er zaghaft zu wispern, doch seine kräftige Stimme schien zum Wispern nicht geeignet, denn sie schallte so blechern aus seiner Kehle, als brülle er durch ein rostiges Ofenrohr hindurch. Er erschrak vor seinem eigenen Geschrei. Wenn nun der Mann zurückkehrte, womöglich mit Verstärkung, um auch ihn zu töten?
Plötzlich tanzten Schatten im Gestrüpp, überall dort, wo sein Blick gerade nicht direkt hinfiel. Nur aus den Augenwinkeln glaubte er sie zu erkennen. Riss er jedoch ruckartig seinen Kopf herum, um sich den lauernden Gefahren zu stellen, konnte er nichts Verdächtiges entdecken.
Schreckgespinste, in die er sich umso mehr hinein steigerte, je länger er dort in seiner Einsamkeit saß. Doch nichts geschah. Weder kehrte Skiria zurück, noch wurde er von Drachenjägern bedroht, obwohl Ramin sich vorstellte, wie sie reglos im Gebüsch lauerten, ihn beobachteten, um dann, wenn er es am wenigsten
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