Skiria: Am Berg der Drachen (German Edition)
gefährlich.“
Seine Worte lockten sie schließlich hinter dem Felsen hervor. Schüchtern schlich Skiria auf die beiden Kolosse zu. Hojomor hatte sich bereits in Positur gestellt, um das Willkommensritual mit ihr zu begehen, doch er erkannte schnell, dass das Mädchen eine andere Art der Begrüßung bevorzugte.
„Sei gegrüßt!“, brachte Skiria zaghaft hervor und wandte sich sogleich wieder ab. Hojomor berichtete ihnen vom Besuch seiner Schwester, die in gedrückter Stimmung seine Höhle wieder verlassen hatte. Einen Menschen zu entführen, fiel ihr schwer, doch es blieb ihr nichts anderes übrig, wollten sie und ihr Sohn überleben. Dankend hatte sie abgelehnt, als ihr Bruder etwas von seinem Drachenkraut abgeben wollte.
„Jeder muss für sich selbst sorgen“, hatte sie gesagt. Schweren Herzens war sie anschließend fortgezogen, um einen passenden Standort zu suchen, nicht weit von einem Gebiet, in dem Menschen lebten. Dort wollte sie abwarten, bis ein Opfer vorbeikam, das sie packen und fortbringen konnte.
Onkel Hojomor verfügte über einige Erfahrung, überstieg sein Alter das von Ramins Mutter doch um gut hundert Jahre. Er empfahl seiner Schwester eine leer stehende Grotte, die einerseits nah an den Menschenwegen, andererseits nicht allzu weit entfernt vom Drachenberg lag.
Ramin vernahm erleichtert, dass diesen Ort knapp zwei Tagesmärsche entfernt lag und ließ sich den Weg dorthin genau erklären, während Skiria sich auf dem Boden niedergelassen hatte, Ramins Drachenkraut aus dem Stoffbündel zerrte und es vor sich ausbreitete. Verwirrt unterbrach Hojomor seine Wegbeschreibung.
„Was machst du da?“
Skiria teilte das Kraut in drei Stränge.
„Ich flechte einen Kranz“, entgegnete sie ruhig und begann, die Stränge miteinander zu verflechten.
Beide gleich verdutzt fragten Onkel und Neffe beinahe einstimmig: „Warum?“
„Sollten Ramin und ich uns jemals trennen müssen, was ich natürlich nicht hoffe, so wäre es doch sinnvoll, wenn Ramin und nicht ich das Drachenkraut bei sich tragen würde.“
Erstaunt über so viel Weitsicht nickte Hojomor.
„Wie Recht du doch hast. Ich wünsche euch trotzdem, dass ihr so lange wie möglich beisammen bleibt.“
Skiria stand auf und legte den Kranz um Ramins Hals, den der Drache demütig beugte. Er war stolz auf seine kluge Freundin.
Hojomor hatte stets gehofft, dass sich einer der jungen Drachen einmal gegen die grausame Herrschaft der Drachenkönigin auflehnte. Seine alten und gebrechlichen Glieder ermöglichten ihm keine derartigen Unternehmungen mehr, sonst hätte er sich den beiden augenblicklich angeschlossen. Stattdessen entließ er die beiden mit einem aufmunternden Nicken und wünschte ihnen Glück.
Ramin führte Skiria erstaunlich sicher die Drachenwege entlang. Wann immer sie an eine Gabelung gelangten, erkannte er sofort die richtige Abzweigung. Skiria dagegen hatte längst den Überblick verloren und musste sich deshalb auf ihren Gefährten verlassen. Tauchte eine verlassene Drachenhöhle auf, so ging er voran und spähte erst vorsichtig hinein, um sich davon zu überzeugen, dass kein Phyraton darin auf sie wartete, ehe er Skiria nachkommen ließ.
Bereits nach eineinhalb Tagen erreichten sie ihr Ziel. Ramin bemerkte den zum Wald führenden Ausgang, der sich, wie sein Onkel beschrieben hatte, bis an die Felsendecke zog. Gerade breit genug, dass sich ein ausgewachsener Drache hindurch zwängen konnte. Dem jungen Ramin bereitete es jedoch wenig Mühe, nach draußen zu gelangen.
„Wir müssen nach dem Weg der Menschen suchen. Gewiss liegt meine Mutter dort auf der Lauer“, ereiferte sich Ramin, kaum, dass sie die Höhle verlassen hatten.
„Mutter!“, schrie das Tier atemlos in den Wald hinein, als sei es davon überzeugt, dass sich die Drachendame in der Nähe aufhielte.
„Ramira!“, rief Skiria und fühlte sich bei dem Gedanken, dass Ramins Mutter wohl gerade nach einem Menschenopfer suchte, ein wenig unbehaglich. Was sollte sie tun, wenn sich Ramira uneinsichtig zeigte und stattdessen sie selbst zu entführen gedachte? Sie drängten sich durch dichtes Gebüsch und stießen nach einer Weile auf einen kleinen Pfad, der, eingerahmt von dornigen Hecken, mitten durch den Wald führte. Für einen Augenblick hielt Skiria inne und genoss es, nach so langer Zeit wieder auf einem von Menschen angelegten Weg zu stehen, auch wenn hohes Gras davon zeugte, dass ihn lange niemand mehr betreten hatte. Doch Ramin drängte, die Suche
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