Skiria: Am Berg der Drachen (German Edition)
später beschloss er, endlich sein Versteck zu verlassen. Vorsichtig erhob er sich und schrie leise auf, als er in seinem rechten Bein einen stechenden Schmerz verspürte. Im Lichtkegel des Mondes erkannte Ramin weiche braune Locken, die sich um das Gesicht des Knaben ringelten. Er wirkte kleiner und jünger als Skiria, obwohl Ramin das Alter von Menschen nur schlecht einschätzen konnte. Der Jüngling bewegte sich humpelnd auf die tote Ramira zu, vor der er schließlich verharrte, um ehrfürchtig die riesigen Umrisse des Kolosses zu betrachten.
„Ist es tot?“, wisperte er so leise, als könne das leblose Tier seine Worte verstehen.
„Ja“, antwortete Ramin.
Einen Augenblick lang erwog er, ihm von der Drachenkönigin zu erzählen, aber dann missfiel ihm plötzlich, sich für Ramiras Verhalten rechtfertigen zu müssen, und so begnügte er sich damit, beiläufig zu erwähnen: „Meine Mutter hatte ihre Gründe, dich zu entführen. Ich erkläre es dir vielleicht später. Wie heißt du eigentlich?“
„Gwendol“, gab der Knabe mit leiser Stimme preis, den Blick fest auf den Boden gerichtet.
„Ich heiße Ramin.“
Damit schien die Unterhaltung vorerst beendet, denn die Trauer legte sich wieder über das Herz des Drachen. Schleppend trottete er zu Ramira, deren Rückenkamm im Mondlicht glänzte wie poliertes Silber und ließ Gwendol einfach stehen. Schweigend verweilte das Tier dort, bis es plötzlich eine Berührung spürte. Irritiert registrierte Ramin, dass Gwendols Hand auf seinem schuppigen Panzer lag.
„Es wird bestimmt wieder alles gut“, versuchte ihn der Junge unbeholfen zu trösten. „Ich glaube dir, dass deine Mutter es nicht böse gemeint hat. Bestimmt war sie ein guter Drache.“
Überrascht wandte sich Ramin Gwendol zu, der leichthin fortfuhr: „Du bist das erste Lebewesen seit langem, das mich freundlich behandelt. Daheim haben mich alle immer nur ausgeschimpft, weil ich zu nichts tauge.“
Das ferne Heulen eines Wolfes ließ Ramin aufhorchen und erinnerte ihn daran, dass er sich in Gefahr befand.
Womöglich handelte es sich um gleich mehrere Drachentöter, die nun nach ihm suchten und dabei diesen Ort passierten, um sich von Ramiras Tod zu überzeugen. Gerne hätte Ramin nachts neben seiner Mutter gewacht, doch es schien vernünftig, einen anderen Schlafplatz vorzuziehen.
„Lass’ uns von hier weggehen“, schlug Ramin vor. „Kannst du laufen?“
Tapfer nickte Gwendol. Ramin blickte ein letztes Mal zu der toten Ramira, stieß ein kurzes, unglückliches Heulen aus und machte sich bereit, sie für immer zu verlassen.
Rabanus schleppte das zappelnde Mädchen bis zu der Stelle, an der Agata und Karol bereits auf ihn warteten. Dort ließ er Skiria endlich von seinen Schultern hinab gleiten und packte anschließend grob ihren Arm, um zu verhindern, dass sie entwischte. Skiria hatte ihre Erklärungsversuche aufgegeben. Sie glaubte nicht mehr an die guten Absichten des kräftigen Hünen. Trotz ihrer Beteuerungen, er möge sie bei dem Drachen zurücklassen, hörte er nicht auf sie.
Vor ihr standen nun zwei merkwürdige Gestalten, die Skiria begafften, als hätten sie noch nie etwas Derartiges gesehen. Der feiste Jüngling fragte neugierig: „Wer ist das?“, während die große, unförmig wirkende Frau missmutig ihr Gesicht verzog.
„Was soll das?“, keifte sie. „Willst du dieses Fräulein vielleicht mit auf die Jagd nehmen?“
Rabanus’ Blicke streiften seine Kameradin hochmütig.
„Sie wird mit uns kommen.“
Wütend stampfte Agata auf.
„Sie wird uns nur aufhalten. Sieh’ sie dir doch an!“ Um ihre Worte zu unterstreichen, trat sie an Skiria heran, griff nach ihrem Arm und hielt ihn hoch wie eine Trophäe. „Diese dünnen Ärmchen sind kaum stärker als ein Grashalm!“
„Aber ich will doch gar nicht mit euch gehen“, protestierte Skiria vehement. „Lasst mich ruhig hier und sorgt euch nicht um mich. Ich gehe zu meinem Freund Ramin zurück.“
Spöttisch blitzten Rabanus’ Augen auf.
„Ramin heißt der Junge also. Den wirst du wohl nicht mehr lebend wiedersehen. Frisches, junges Fleisch wird von allen Drachen sehr geschätzt.“
Er lachte höhnend. Gackernd fiel Agata mit ein.
„Komm lieber mit uns!“, mischte sich Karol spontan ein. „Wir werden dich beschützen!“
Sein Gesicht rötete sich bei diesen Worten ein wenig, während sich Agata ausschüttete vor Lachen, als hätte der Knabe eine lustige Anekdote zum Besten gegeben.
„Gewiss,
Weitere Kostenlose Bücher