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Sklaven der Flamme

Sklaven der Flamme

Titel: Sklaven der Flamme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Samuel R. Delany
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Tränen verzerrten die schiefen Randsteine, die rissigen Wände, die verrosteten Tür- und Fensterrahmen.
    »Er meint, daß er Heimweh hat«, erklärte Rara. Sie wandte sich an Tel. »Nein, Junge, vergehen wird das nie. Aber mit der Zeit schmerzt es weniger.«
    Die Gasse machte zwei scharfe Biegungen und verbreiterte sich dann.
    »So«, sagte Alter. »Da sind wir.«
    Sie standen vor dem einzigen Steingebäude der Gasse. Es war zwei Stockwerke hoch, höher als alle anderen Häuser in der Gegend. Über der Tür hing ein rotes rundes Schild. Sie traten ein.
    In der niedrigen Decke waren echte Holzbalken eingelassen. An einer Wand befand sich eine Theke. Ein riesiger Tisch stand mitten im Zimmer, und zwei Treppen trafen sich im spitzen Winkel.
    Von den Männern und Frauen, die herumsaßen, fiel Tel eine Gestalt sofort auf. Der Mann war gut zwei Meter groß. Er hatte ein langes, flaches Pferdegesicht und drei parallele Narben, die von der Wange bis zum Hals verliefen und unter seinem kragenlosen Hemd verschwanden. Während Tel ihn beobachtete, wandte er sich seinem Teller zu, so daß die Narben nicht mehr zu sehen waren.
    Plötzlich tauchte am Treppenabsatz ein alter Mann auf, der sich kerzengerade hielt. Sein weißes Haar stand widerborstig in alle Richtungen ab. Er kam die Treppe herunter, wirbelte herum, faßte jeden der Anwesenden ins Auge und sagte: »Schön. Ich habe die Botschaft erhalten. Ich habe die Botschaft erhalten. Und es ist Zeit.«
    Alter flüsterte Tel zu: »Das ist Geryn.«
    »Sind wir alle hier?« fragte der alte Mann. »Sind wir jetzt alle hier?«
    Eine Frau an der Theke kicherte. Plötzlich wandte sich Geryn Tel, Alter und Rara zu. »Du!« sagte er scharf. Sein Finger zitterte so, daß sie nicht wußten, wer von ihnen gemeint war.
    »Meinst du ihn?« fragte Alter und deutete auf Tel.
    Geryn nickte heftig. »Was machst du hier? Bist du ein Spion?«
    »Nein«, sagte Tel.
    Geryn kam um den Tisch herum und betrachtete ihn gründlich. Die schwarzen Augen brannten wie Kohlen in einem Gesicht, das die Farbe von gebleichten Schiffsplanken hatte.
    »Geryn«, sagte Alter, »Geryn, er ist kein Spion. Er kommt vom Festland. Und, Geryn, er hat keine Papiere. Er kam als blinder Passagier.«
    »Du bist kein Spion?« fragte Geryn wieder.
    »Nein«, wiederholte Tel.
    Geryn trat einen Schritt zurück. »Ich mag dich«, sagte er. »Ich vertraue dir.« Langsam wandte er sich ab. Dann wirbelte er noch einmal herum. »Siehst du, ich habe keine andere Wahl. Es ist zu spät. Die Botschaft ist gekommen. Deshalb brauche ich dich.« Er lachte. Dann brach das Lachen ab, ganz plötzlich. Er legte die Hände über die Augen und ließ sie langsam sinken. »Ich bin müde«, sagte er. »Rara, du schuldest mir noch Miete. Bezahle, oder ich werfe euch alle hinaus. Ich bin müde.« Er ging schwerfällig an die Bar. »Gib mir etwas zu trinken. In meiner eigenen Kneipe kannst du mir doch etwas zu trinken geben.«
    Wieder lachte jemand. Tel sah Alter an.
    »Schön«, sagte sie. »Er mag dich.«
    »Wirklich?«
    »M-hm.« Sie nickte.
    »Oh.«
    An der Bar trank Geryn ein großes Glas mit einer hellgrünen Flüssigkeit leer. Er stellte es hart auf die Theke und rief: »Der Krieg! Jawohl, der Krieg!«
    »Oh, geht das schon wieder los«, flüsterte Alter.
    Geryn fuhr mit dem Finger langsam am Rand des Glases entlang. »Der Krieg«, sagte er noch einmal. Er drehte sich plötzlich um. »Er kommt!« rief er. »Und wißt ihr, weshalb er kommt? Wißt ihr, wie er kommt? Wir können ihn nicht aufhalten, nicht jetzt, überhaupt nicht mehr. Ich habe das Zeichen bekommen; es gibt also keine Hoffnung mehr. Wir müssen nun versuchen, etwas zu retten, etwas für den neuen Anfang, etwas, worauf wir von neuem aufbauen können.« Geryn sah Tel an. »Junge, weißt du, was ein Krieg ist?«
    »Nein«, entgegnete Tel, und das stimmte nicht ganz, denn er hatte das Wort schon gehört.
    »He«, rief jemand von der Bar, »hören wir jetzt wieder die alten Geschichten von großen Feuern und Vernichtung?«
    Geryn beachtete den Rufer nicht. »Weißt du, was das Große Feuer war?«
    Tel schüttelte den Kopf.
    »Die Welt war früher einmal sehr viel größer als heute«, sagte Geryn. »Einst flogen die Menschen nicht nur zwischen Insel und Festland hin und her, zwischen Insel und Insel. Sie umrundeten die ganze Erdkugel. Einst flogen die Menschen zum Mond, sogar zu den wandernden Lichtern am Himmel. Es gab Reiche wie Toromon, nur sehr viel größer. Und es gab viele davon

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