Sklaven der Flamme
Oft kämpften sie gegeneinander, und das nannte man Krieg. Und am Ende des letzten Krieges kam das Große Feuer. Das war vor mehr als fünfzehnhundert Jahren. Wir wissen wenig darüber, wie die Welt heute aussieht, denn immer wieder stoßen wir auf Streifen unpassierbaren Landes, und im Meer verlaufen tödliche Strömungen. Nur Fragmente der Erde, weit voneinander getrennt, können Leben ernähren. Vielleicht ist Toromon das einzige Reich. Wir wissen es nicht. Und nun soll es wieder Krieg geben.«
Jemand an der Bar rief: »Und wenn er kommt? Vielleicht bringt er ein wenig Abwechslung.«
Geryn wirbelte herum. »Ihr versteht mich nicht!« Er fuhr sich mit der Hand heftig durch widerborstiges Haar. »Was bekämpfen wir? Wir wissen es nicht. Jenseits der Strahlungsbarriere lauert etwas Geheimnisvolles, Feindseliges. Weshalb kämpfen wir?«
»Weil …«, begann eine gelangweilte Stimme an der Bar.
»Weil«, unterbrach ihn Geryn und deutete auf Tel, »wir kämpfen müssen! Toromon befindet sich in einer Lage, wo es seine Spannungen nach außen ableiten muß. Unsere Wissenschaft ist unserer Wirtschaft weit voraus. Unsere Gesetze sind härter geworden, und wir sagen, daß wir damit die steigende Kriminalität eindämmen wollen. Aber in Wirklichkeit sind die Gesetze härter geworden, damit wir mehr Arbeiter in die Bergwerke schicken können, Arbeiter, die noch mehr Tetron fördern, damit noch mehr Bürger ihre Stellung verlieren und Straftaten begehen müssen. Vor zehn Jahren, als es noch keine Aquarien gab, war Fisch fünfmal so teuer wie heute. Etwa vier Prozent der Bürger Toromons hatten keine Arbeit. Heute kostet Fisch ein Fünftel von damals, aber fünfundzwanzig Prozent der Bevölkerung sind arbeitslos. Ein Viertel unseres Volkes verhungert. Täglich kommen mehr Menschen nach Toromon. Was sollen wir mit ihnen anfangen? Wir schicken sie in den Krieg. Unsere Universität entläßt Wissenschaftler, die wir nicht einsetzen können, weil sie noch mehr Menschen das Brot wegnehmen. Was Fangen wir mit ihnen an? Wir schicken sie in den Krieg. Letzten Endes wird ganz Toromon von Tetron überschwemmt sein. Nicht einmal die Aquarien und Hydroponikanlagen werden es verwenden können. Und dann wird auch das Tetron dem Krieg dienen.«
»Und wie geht es weiter?« fragte Tel.
»Wir wissen nicht, wen oder was wir bekämpfen«, wiederholte Geryn. »Wir bekämpfen uns selbst, aber wir werden es nicht erkennen. Im Krieg ist es üblich, daß man dem Gegner so wenige Informationen wie möglich über sich selbst zukommen läßt. Das habe ich in den Büchern gelesen. Oder man erzählt Schauermärchen, um die kleinen Kinder zu erschrecken. Aber man sagt nicht die Wahrheit. In unserem Fall könnte die Wahrheit …« Er sprach nicht weiter.
»Hast du irgendwelche Pläne?« fragte Tel.
Wieder lachte jemand an der Bar.
Die Stimme des Alten klang leiser. »Irgendwie müssen wir es fertigbringen, etwas aus den Trümmern der Verwüstung zu bergen. Es gibt nur wenige von uns, die alles wissen, die es verstehen, die erkennen, was – was getan werden muß.«
»Und was muß getan werden?« wollte Tel wissen.
Plötzlich wirbelte Geryn herum. »Trinkt!« rief er. »Eine Runde für alle!« Der leichte Spott und die allgemeine Apathie verschwanden, als sich die Leute um die Theke drängten. »Trinkt, Freunde, meine Gefährten!« rief Geryn.
»Dein Plan?« fragte Tel wieder. Er war verwirrt.
»Ich will ihn dir verraten«, flüsterte der Alte. »Ich will ihn dir verraten. Aber noch nicht jetzt. Noch nicht …« Er drehte sich um. »Trinkt!« Drei Männer, die bereits ihre Gläser in der Hand hielten, ließen ihn hochleben.
»Seid ihr auf meiner Seite, Freunde?« fragte Geryn.
»Natürlich«, riefen sechs weitere und stellten ihre Gläser hart auf den Tisch. Tel sah von Alter zu Rara und wieder zu Alter.
»Mein Plan …«, begann Geryn. »Habt ihr alle Gläser? Alle? Eine zweite Runde für euch. Jawohl, eine zweite Runde!«
Das Freudengeschrei steigerte sich. Gläser wurden zur Decke gehoben und klirrten wieder auf die Theke.
»Mein Plan ist – versteht mich richtig, es ist nicht alles, sondern nur ein winziger Teil des großen Planes, der uns alle retten soll – mein Plan ist es, Prinz Let aus dem Palast zu entführen. Das müssen wir tun. Seid ihr auf meiner Seite, Freunde?« Man jubelte ihm zu. Jemand hatte in einer Ecke des Raumes eine Balgerei angezettelt. Dann begann Geryn zu flüstern, mit leiser, heiserer Stimme, die einen Augenblick
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