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Sklaven der Flamme

Sklaven der Flamme

Titel: Sklaven der Flamme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Samuel R. Delany
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nickte dann vor sich hin. »Oh, man spürt es einfach, man spürt es.«
     
    Im gleichen Moment sagte Jon Koshar: »Nun, bis jetzt hast du recht gehabt.« Er schien mehr oder weniger in der Speisekammer seines Vaters zu stehen (der Raum lag im Halbdunkel, so daß seine Hände und sein Kopf unsichtbar waren) und war mehr oder weniger allein (»Ja, ich vertraue dir«, fügte er hinzu. »Ich habe gar keine andere Wahl.«).
    Plötzlich nahm seine Stimme einen anderen Ton an. »Sieh mal, ich will dir ja vertrauen; wenigstens, so gut ich es vermag. Ich war nahezu fünf Jahre eingesperrt, wegen einer Dummheit. So sehr ich mich auch um Objektivität bemühe, ich kann einfach nicht glauben, daß es allein meine Schuld war. Nein, Uske kann auch nichts dafür. Aber der Zufall und so weiter – jedenfalls brennt der Drang nach Freiheit um so stärker in mir. Ich will frei sein. Bei dem Fluchtversuch aus dem Bergwerk wäre ich beinahe ums Leben gekommen. Und zwei Leute, die mir halfen, starben tatsächlich. Gut, du hast mich aus diesem Edelstahlfriedhof an der Strahlungsbarriere geholt, und dafür danke ich dir. Ich meine es ehrlich. Aber ich bin noch nicht frei. Ich habe immer noch diesen Drang in mir, schlimmer als zuvor.
    Natürlich, ich weiß, daß du etwas von mir willst, aber ich verstehe es noch nicht. Du sagst, daß du es mir bald verraten wirst. Schön. Aber solange du so in meinem Kopf umherspukst, bin ich nicht frei. Wenn ich nur frei werden kann, indem ich dir helfe, gehorche ich natürlich. Aber ich warne dich. Sobald ich irgendeinen Spalt in der Mauer sehe, irgendeinen Lichtfleck, werde ich alles tun, um ihn zu erreichen. Und dann werde ich mich auch nicht mehr um deine Wünsche kümmern. Denn solange du bei mir bist, kann ich nicht frei sein.«
    Plötzlich wurde das Licht in der Speisekammer eingeschaltet. Die Anspannung in seinen Zügen wich der Furcht. Er war mit einem Sprung an der Wand und preßte sich an den hohen Geschirrschrank. Wer auch hereingekommen war, ein Diener oder Butler, Jon konnte ihn nicht sehen. Eine Hand öffnete die Schranktür. Die Hand war breit und schwarz behaart. An einem Finger saß ein billiger Messingring mit einem unregelmäßig geformten blauen Glasstein. Schüsseln klapperten, Töpfe wurden zur Seite geschoben. Eine Stimme. »Du trägst das da.« Dann ein Brummen, und die Holztür schloß sich knarrend.
    Einen Augenblick später erlosch das Licht und mit ihm Koshars Kopf und Hände. Der junge Mann trat aus seinem Versteck und warf einen Blick auf die Türen und Schränke. Die Vertrautheit schmerzte. Eine Tür führte in die Hauptküche. (Einmal hatte er eine Kharbafrucht vom Küchentisch gestohlen und im Weglaufen eine Holzschale zu Boden gerissen. Auf den wütenden Aufschrei des Kochs hin hatte er sich umgedreht. Die Salatblätter waren auf dem schwarzen Boden verstreut gelegen, und die Schale hatte sich noch gedreht. Damals war er neun gewesen.)
    Er ging langsam auf die Tür zu, die in den Korridor führte. In der Diele befand sich ein Edelholztisch mit einer Skulptur aus Aluminiumstäben und schweren Glaskugeln. Den Tisch kannte er, aber die Skulptur war neu.
    (Ein leichter Schimmer an der Kristallkrümmung brachte ihm die blaue Keramikvase in Erinnerung, die früher hier gestanden hatte. Ihre Glasur war von unzähligen feinen Rissen durchzogen gewesen. Die gerade, zylindrische Form hatte oben plötzlich einen Knick gemacht, der in einer asymmetrischen Öffnung endete. Das glänzende rote Holz hinter dem leuchtenden Türkisblau – diese Kombination war ihm beinahe zu kräftig, zu sinnenfreudig vorgekommen. Er hatte die Vase zerbrochen. Er war erschrocken zusammengezuckt, als seine Schwester plötzlich hinter ihm gestanden hatte, das kleine Mädchen mit demselben dunklen Haar wie er, und gefragt hatte: »Was machst du hier, Jon?« Dabei war ihm die Vase entglitten. Die Scherben auf dem Boden hatten wie spröde helle Blätter aus Stein gewirkt. Seine erste Reaktion war Staunen gewesen – Staunen, daß die Glasur auch das Innere der Vase bedeckte. Er war vierzehn gewesen.)
    Er betrat das Speisezimmer der Familie. Heute benutzte man den Ballsaal, und niemand würde hierherkommen. Man hatte das Gefühl, in ein Grillennest zu horchen. Das feine Tsk-tsk von tausend Uhren wiederholte sich ohne Unterlaß, überlagerte sich, verschmolz zu einem unklaren, verwischten Rhythmus. An der Wand neben der Tür waren Regale angebracht, und hier befand sich die Uhrensammlung seines Vaters. Er

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