Sklaven für Wutawia / Gauner mit der 'Goldenen Hand'
ihn.“
„Meinen Sie wirklich — Haß?“
„Wir würden Sie es auslegen, wenn ein
Stiefvater bei jeder Gelegenheit sagt: Du Mistbengel gehörst umgebracht. Ich
weiß, Herr Kommissar, Ludwig Bernholt gilt als honoriger Geschäftsmann. Zu
welchen Wutausbrüchen er fähig ist — das zeigt er nur uns. Ich glaube,“, ihre
Stimme zitterte, „daß etwas Entsetzliches passiert ist. Mein Mann hat bei
Mühlstetten eine Jagd. Und er besitzt eine entsprechende Ausrüstung. Dazu
gehören Jagdmesser und ein scharfes Fahrtenmesser. Andy leiht sich das
Fahrtenmesser manchmal aus — zum Schnitzen, gibt es aber immer zurück. Jetzt
ist das Messer verschwunden.“
Kolb lehnte sich zurück. „Ich
veranlasse, daß nach Andy gesucht wird. Wir brauchen ein Foto von ihm — und
eine genaue Beschreibung. Mit Ihrem Einverständnis werden wir uns außerdem auf
Ihrem Grundstück umsehen. Vielleicht entdecken wir irgendeinen Hinweis.“
*
Eine Stunde später wurde in einem
Container für Gartenabfälle hinter der Bernholt-Villa das Fahrtenmesser
gefunden.
Die Klinge war blutbefleckt.
Julia wurde von Weinkrämpfen
geschüttelt.
Unten im Wohnzimmer schwitzte Bernholt
Blut und Wasser.
Kommissar Kolb musterte ihn mit
offenkundigem Mißtrauen und stellte unbequeme Fragen.
Julia preßte ihr Taschentuch an den
Mund. Bernholt, dachte sie, hat meinen Jungen umgebracht. Im Jähzorn. Im
Affekt. Es mußte soweit kommen. Ich bin schuld. Warum bin ich allein
weggefahren, statt mit Andy...?
In diesem Moment klingelte das Telefon.
Es gab drei Apparate im Haus: unten,
hier in Julias Schlafzimmer, drüben in Bernholts Bude.
Julia meldete sich.
„Mutti“, sagte Andy am anderen Ende der
Leitung. „Gut, daß ich dich erwische. Kannst du reden? Bist du allein? Wäre
Bernholt am Apparat, hätte ich sofort wieder aufgelegt.“
„Andy!“ Ihre Stimme überschlug sich.
„Wo bist du?“
„In unserer Jagdhütte. Ich bin
abgehauen, weil ich’s mit Bernholt nicht mehr aushalten kann. Ich habe mir
ausgemalt, wie er dasteht, wenn alle glauben, er hätte mich umgebracht. Deshalb
habe ich mich mit dem Messer geschnitten und das dann versteckt. Aber jetzt weiß
ich nicht... Bin ich zu weit gegangen, Mutti?“
Sie seufzte. „Du lebst. Das ist die
Hauptsache. Aber — ja, Andy. Du bist zu weit gegangen. Die Polizei ist im Haus.
Ich selbst habe dafür gesorgt, daß dein Stiefvater in ganz schlechtem Licht
steht.“
„Unter Mordverdacht?“
„Sozusagen. Aber wir können nicht so
skrupellos handeln wie er, Andy. Deshalb werde ich jetzt hinuntergehen und
sagen, wo du bist.“
„Er wird sich an mir rächen, auf
schreckliche Weise.“
„Nein, Andy. Denn wir beide gehen von
ihm weg.“
*
Genau 22 Minuten nach diesem Gespräch
klingelte in Wendelin Wiegands Prachtvilla das Telefon.
Der Hausherr persönlich — noch etwas
verkatert von der Party, aber schon auf den Beinen — hob ab.
„Ich bin’s, Wendy“, sagte Ludwig
Bernholt am anderen Ende der Leitung. „Den Hintergrund zu der Sache erzähle ich
dir später. Jetzt geht’s darum, daß wir schnell handeln. Mein Stiefsohn, dieser
verdammte Mistbengel, versteckt sich in meiner Jagdhütte hinter Mühlstetten. Du
weißt, wo das ist. Warst ja schon dort. Ich will ihn loswerden. Er gehört nach
Wutawia. Die Gelegenheit ist günstig. In einer halben Stunde fahre ich mit
meiner Alten hier los. Wir brauchen gut eine Stunde. Kröse und Taschke müssen
vor uns dort sein. Geht das?“
„Ich glaube, ja. Sie sind mit ‘ner Dreier-Fracht
auf dem Weg zur Burg. Aber übers Autotelefon kann ich sie erreichen. Und
Mühlstetten ist ja nur einen Katzensprung von Wächtrode entfernt. Kein Problem,
den Bengel abzuholen.“
„Ausgezeichnet. Für diesen Rotzjungen,
Wendy, will ich keine müde Mark. Den schenke ich euch. Den abzuschreiben für
alle Zeiten — das sind Streicheleinheiten für meinen Blutdruck.“
„Höre ich gern. Der Junge ist doch
gesund?“
„Völlig. Und ein guter
Tischtennis-Spieler. Ich muß Schluß machen, Tschüs.“
22. Der letzte Transport
Es wurde nicht wärmer im Burgverlies.
Vor dem vergitterten Fenster zog der Nebel sich zusammen. Die Botanik schaltete
auf Spätherbst.
Caroline hatte lange geweint. Mit dem
Ergebnis, daß sie jetzt nicht mehr so heiser sprach wie sonst.
Tim stellte das mit Verblüffung fest.
Klößchen hatte sich auf seiner Pritsche
zusammengerollt und dachte unentwegt an das lukullische Büffet der letzten
Nacht.
Tim machte seit einer
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