Sklaverei
durchtränkt ist. Das liegt daran, dass die Menschenhändler keine isolierten Grüppchen sind, die irgendwo im Untergrund agieren: Es handelt sich um Angehörige eines Gewerbes, und als solche müssen sie analysiert werden. Wir müssen nicht unter den Steinen nach ihnen suchen, sondern unter Anwälten, unter den Besitzern von Bars, Massagesalons und Restaurants, unter Pornoproduzenten, Kasinobetreibern, Fabrikbesitzern und Hoteliers. Sie alle bezahlen ihre Steuern, und darüber sowie über offizielle Lizenzen und Genehmigungen sowie über die Touristen, die es anlockt, bringt das Sexgewerbe dem Staat beste Erträge. Es ist aber auch der Sektor, in dem Drogenhändler und Waffenschieber das meiste Geld waschen.
Nach seiner grundsätzlichen Definition versteht man unter einem Gewerbe »sämtliche Operationen zum Erwerb, der Verarbeitung oder dem Transport von Gütern und Dienstleistungen, mit dem Zweck der Gewinnerzielung und der Schaffung von Arbeitsplätzen«. Wie andere Gewerbe wuchs auch der Sklavenhandel mit der Liberalisierung der Weltwirtschaft sprunghaft. Die Zwangsprostitution macht den größten Anteil des Menschenhandels aus und basiert auf einem kapitalistischen Produktionsprinzip, nach dem Gewinne durch eine Maximierung der Einnahmen und einer Minimierung der Ausgaben erzielt werden. Wenn die Frauen und Mädchen zwei Jahre lang kostenlos arbeiten, potenzieren sich die Gewinne, während sich die Anschaffungs- und Unterhaltskosten aufgrund des niedrigen Lebensstandards der Sklavinnen rasch amortisieren.
Willkommen im 21 . Jahrhundert
Bis zu Beginn der 1990 er Jahre agierten die Menschenhändlerringe weitgehend isoliert voneinander, wenngleich immer mit Unterstützung des Staatsapparats (also korrupter Behörden und Polizeibeamter) und der ortansässigen Mafia. Mit der Öffnung der Märkte und der moralischen Entrüstung um das Thema Menschenhandel, die unter dem amerikanischen Präsidenten George W. Bush den Ton angab, fand die regional und überregional agierende Mafia Möglichkeiten, dem Markt neuen Schutz zu bieten und ihn international zu vernetzen. Dieser Schutz tritt zu dem hinzu, den die prominenten Klienten – freiwillig oder unfreiwillig – bieten, etwa die Beamten von Interpol, die in Cancún auf Feiern mit Prostituierten gefilmt wurden, oder die Gouverneure, Senatoren und Magnaten, die in Bordellen, Karaokebars und Escort-Services Stammkunden sind.
Genau wie das Tourismusgewerbe, das seine ganz eigene Kultur geschaffen hat, nährt sich die Sexsklaverei aus den gängigen Stereotypen, die von den Klienten aus aller Welt wiedergekäut werden. Hunderte Sexwebsites beschreiben Japanerinnen als stille Geishas, Thailänderinnen als unterwürfige Masseusen, Kolumbianerinnen als enthemmt und wild, Kubanerinnen als unersättliche Nymphomaninnen, Russinnen als pervers, Dominikanerinnen als zärtlich und liebevoll, Nordamerikanerinnen als Playgirls, die gern hart rangenommen werden, und so weiter.
Während sich die Mafia geschmeidig wie ein Leopard bewegt, trampeln ihr ihre internationalen Verfolger wie alte und schwerfällige Elefanten hinterher. Einer der entscheidenden Unterschiede zwischen den Menschenhändlerringen und den Behörden zur Bekämpfung des organisierten Verbrechens ist, dass Erstere nicht durch Bürokratie oder Prinzipien eingeschränkt werden. Sie kennen keine Moral. Wenn ein Angehöriger der Mafia gegen die Regeln verstößt, wird er einfach umgebracht. Wenn sich dagegen ein Mitarbeiter der Interpol an die Mafia verkauft, wird ein Untersuchungsverfahren eingeleitet, das sich vermutlich ein oder zwei Jahre hinzieht. Die Mafia ermordet ihre Verräter und setzt innerhalb von zwei Stunden einen Ersatzmann ein. Des Rätsels Lösung steckt vielleicht in dem, was mir ein Zuhälter aus Guatemala sagte: »Vor der Polizei haben wir keine Angst. Wir haben Angst vor den Bossen, denn die bringen dich gnadenlos um und wissen, wo deine Familie lebt. Die Polizisten sind käuflich, die Bosse nicht.« Solange die Korruption nicht in jedem Land und auf lokaler Ebene wirkungsvoll bekämpft wird, bleiben internationale Abkommen nicht mehr als Absichtserklärungen.
Auf meinen Reisen habe ich eines gelernt: Sosehr die Spezialisten dies auch abstreiten mögen, die großen und kleinen Mafiaorganisationen der Menschenhändler gehen nach ganz klaren Regeln und Verhaltenskodizes vor, so primitiv und absurd diese auch sein mögen. Im Gegensatz dazu erfüllen die Polizeikräfte in den 46 Ländern, die ich für
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