Sklaverei
mutigste Frau in diesem Land, und wir beide haben mehr gemeinsam, als Sie denken. Wir haben etwas gegen dieselben Perverslinge. Es gibt Dinge, die sind erlaubt, aber es gibt andere, die verstoßen gegen das menschliche und das göttliche Gesetz.«
Ich blickte ihm fest in die Augen. Er war groß und hatte eine soldatische Haltung. Er trug eine Sonnenbrille von Armani, eine luxuriöse Armbanduhr, Jeans, italienische Schuhe, und um den Hals einen goldenen Anhänger der Jungfrau von Guadalupe. Der Typ strotzte nur so vor Selbstbewusstsein. Obwohl er sich um den richtigen Ton bemühte, klang es so, als würde er übers Wetter reden, als er sagte: »Wenn Sie gestatten, dann kümmere ich mich darum, den Gouverneur von Puebla und diesen Nacif zu beseitigen. Wir müssen dieses Land von den Ratten befreien, die sich an unseren Kindern vergreifen.«
Mir gefror das Blut in den Adern, und die Kehle schnürte sich mir zusammen. Ich konnte nur stammeln, dass ich ihm für sein Angebot danke, aber dass ich nicht an Gewalt glaube.
»Es geht nicht darum, ob Sie daran glauben oder nicht. Es gibt sie, fertig, es führt kein Weg zurück«, erklärte er überzeugt.
Er blickte mir fest in die Augen und sagte, er verstehe mein Misstrauen, aber er sei ein Mann, der Wort halte. Ein Kellner ging vorüber, und hinter dem Rücken des Mannes warf er mir einen verängstigten Blick zu, aber da er nicht wusste, was er machen sollte, ging er weiter.
»Schauen Sie, Doña, gehen Sie einfach an Ihren Tisch zurück. Wenn Sie eine Serviette auf den Boden fallen lassen, ehe ich gehe, dann weiß ich, dass wir gemeinsam unsere Kinder vor diesen Schweinen beschützen. Ich gebe Ihnen mein Wort als Ehrenmann.«
»Das glaube ich Ihnen«, erwiderte ich freundlich und gab mich gefasst. Dann ging ich zu meinem Tisch zurück.
Meine Freunde und einige Bekannte an zwei weiteren Tischen waren besorgt und behielten uns die ganze Zeit im Auge. Ich setzte mich und warnte sie als Allererstes, unter gar keinen Umständen eine Serviette auf den Boden fallen zu lassen. Wortlos legten wir die Servietten in die Mitte des Tisches – ein Symbol unserer Angst vor der tödlichen Gewalt. Mit eisigen Händen und trockenem Mund nippte ich an meinem Tequila und erzählte ihnen, was passiert war. Der Typ, offenbar ein Auftragskiller der Drogenbosse, hatte mir angeboten, den Gouverneur des Bundesstaates Puebla, Mario Marín, sowie seinen Kumpan, den Millionär Kamel Nacif, zu ermorden; die beiden hatten mich im Dezember 2005 entführen, foltern und einsperren lassen, um mich zu zwingen, mein Buch
Los Demonios del Edén
mit meinen Untersuchungen über den internationalen Kinderporno-Ring ihres Komplizen Jean Succar Kuri zu widerrufen. Ich wurde bekannt, weil ich diesen Anschlag überlebte und weil wenig später Aufnahmen von Telefonaten auftauchten, durch die das ganze Land erfuhr, wie Mädchen im Alter von vier Jahren für den Sextourismus und die Pornographie verkauft wurden. Ich verklagte Marín und Nacif vor dem Obersten Gerichtshof, wo die Korruption siegte und die beiden Männer zur Empörung ganz Mexikos freigesprochen wurden.
Was mir dieser Mann anbot, war nichts anderes als das Kerngeschäft der Mafia: Gewalt zum Schutz vor Gewalt. In diesem Fall konnte ich aus erster Hand erfahren, was mit dem Begriff »Verbrecherethik« gemeint ist. Ich wüsste zu gern, was passiert wäre, wenn ich den Mut gehabt hätte, ihn zu fragen, ob er mir denselben Schutz anbieten würde, wenn es in dem Buch nicht um Kinderpornographie gegangen wäre, sondern um den Handel mit erwachsenen Frauen wie denen, die bei ihm am Tisch saßen. Ich weiß, dass die Netzwerke der Menschenhändler in Cancún, Playa del Carmen und dem Bundesstaat Yucatán unter dem Schutz der Zetas und Drogenbosse der zweiten Reihe stehen, die sich auf Entführungen und Schutzgelderpressung spezialisieren.
Mein Journalistenkollege Misha Glenny macht mich auf Diego Gambetta aufmerksam, einen Soziologen der Universität Oxford. Gambettas Buch
Die Firma der Paten: Die sizilianische Mafia und ihre Geschäftspraktiken
ist Pflichtlektüre für alle, die sich mit dem organisierten Verbrechen beschäftigen. In diesem Buch erklärt Gambetta, dass Gewalt für die Verbrechersyndikate keineswegs Selbstzweck ist, wie uns Generationen von polizeilichen Ermittlern weisgemacht haben, sondern ein Mittel zum Zweck.
Man kann immer wieder nachlesen, die Mafia mache Geschäfte mit der Gewalt. Gambetta widerspricht dem und behauptet, in
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