Sklaverei
erkannte ich, wie schnell sich die Menschenhändlerringe weiterentwickeln und ihre Techniken der Versklavung an die modernen Zeiten anpassen. Carmen, Marcela und die amerikanische Sängerin Rodha, die in Tokio zur Prostitution gezwungen wurden, hatten eines gemeinsam: Die drei entkamen den Yakuza lebendig und lieferten umfangreiches Beweismaterial in Form von Namen, Daten, Adressen und kriminellen Strategien, das ausgereicht hätte, um die Yakuza und ihre Partner in Mexiko, Kolumbien und den Vereinigten Staaten zu überführen.
Leider passierte gar nichts, außer dass die Opfer jahrelang eine Hölle der Pseudojustiz mit endlosen Verhören und mitleidlosen Behörden durchleiden mussten. Die Mafia blieb unangetastet, weil sie in die Struktur des Staates eingebettet ist, weil die Gesetze gegen den Menschenhandel nicht mit den kulturellen Veränderungen Schritt halten, aber auch weil wir im 21 . Jahrhundert eine neue Gegenbewegung gegen den Feminismus erleben: Die Diskriminierung von Frauen ist wieder auf dem Vormarsch, gestärkt durch neue Vermarktungsstrategien. In vielen Ländern war sie nie ganz verschwunden, sondern hatte sich nur hinter politisch korrekten Sonntagsreden versteckt.
Kriminelle Techniken für den neuen Markt
Im Jahr 2000 führte ich ein Interview mit einer jungen Frau aus Weißrussland, die drei Jahre zuvor unter falschen Versprechungen nach Mexiko verschleppt worden war. In unserem Gespräch stellte sich heraus, dass die Menschenhändler sie morphiumsüchtig gemacht hatten. Die Frauen erhielten kleine Dosen in Form von Diabetesspritzen für Kinder, mit dem Versprechen, dass sie mit dieser »Medizin« nicht leiden würden. Sie wurden an den unmöglichsten Stellen gespritzt, denn man sollte den »Modellen« ja nicht ansehen, dass sie drogensüchtig waren: Die Klienten der VIP -Prostitution möchten schließlich gesunde Frauen.
Kurz nach der Jahrhundertwende wurden die ersten Bücher, Dokumentarfilme und Reportagen veröffentlicht, in denen die Versklavung von Frauen und die Techniken der Verschleppung beschrieben wurden. In seinem Buch
The Natashas: The New Global Sex Trade
stellte der Journalist Victor Malarek detailliert dar, mit welchen Methoden Menschenhändler Frauen aus Russland und Osteuropa in die Vereinigten Staaten brachten. Sie verstanden, wie wichtig es war, auf den Zug der Modernisierung aufzuspringen. Daher übernahmen sie den Diskurs der Akademiker und Feministinnen, die der »Sexarbeit« als Befreiung der weiblichen Sexualität in der kapitalistischen Wirtschaft das Wort reden. Es war nicht mehr nötig, die Frauen unter Drogen zu setzen, sie zu schlagen und in Angst und Schrecken zu halten; es reichte aus, die diskriminierende Kultur zu stärken und ihr einen Anstrich von Luxus und Reichtum zu geben.
»Die Mädchen müssen durch ein System der Belohnung und Bestrafung erzogen werden«, erklärte mir eine philippinische Zuhälterin in Kambodscha. Durch die Dauerberieselung mit Pornographie sollen sie an die Ausbeutung gewöhnt werden. Außerdem muss ihnen die Überzeugung vermittelt werden, dass sie ihre Tätigkeit selbst gewählt haben, dass ihr Leben nichts wert ist und dass sie es verlieren, wenn sie gegen die Spielregeln verstoßen.
»
Difficult choices are still choices
– auch schwere Entscheidungen sind Entscheidungen«, sagte die Zuhälterin, die sich von den Mädchen in ihrem Bordell »Patin« nennen lässt. Genau von dieser Prämisse gehen auch Aktivistinnen aus, die lieber von »Sexarbeit« als von Prostitution sprechen: In einem bestimmten Moment entscheiden sich erwachsene Frauen aus freien Stücken, in die Welt der Prostitution einzutreten und dort ihren Lebensunterhalt zu verdienen, so ihre Annahme. Die Mafia nutzt diese akademische Diskussion aus und mokiert sich sogar noch darüber. Die philosophischen Argumente der Freiheit und der freien Entscheidung gehören heute zum festen Repertoire der Menschenhändler, wie ich aus ihrem eigenen Mund hören konnte.
Gegner der Sklaverei werfen dagegen die Frage auf, inwieweit Frauen überhaupt in der Lage sind, in einem kulturellen Kontext der extremen Unterdrückung und Ungleichheit Entscheidungen zu treffen. Fast 60 Prozent aller Betroffenen treten im Alter von 15 bis 21 Jahren in die Prostitution ein, und zwar unter Gewaltandrohung, Betrug und Nötigung. Es muss klargemacht werden, dass das Gewerbe der sexuellen Ausbeutung von dieser philosophischen, intellektuellen, wirtschaftlichen und religiösen Debatte
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