Sklaverei
dieses Buch untersucht habe, oft nicht einmal die grundlegendsten Anforderungen an Ausbildung, Organisation, Professionalität und Transparenz.
Die Verteilung des Marktes
Als wir um Mitternacht durch den Tokioter Stadtteil Shibuya gehen, begegnen wir mitten auf der Straße einem fröhlich lächelnden Afrikaner, der uns sofort auffällt. Ich sehe meine beiden japanischen Begleiterinnen an, eine Journalistin und eine Frauenrechtlerin. Wir unterhalten uns mit dem Mann, und er bietet uns diskret an, was wir »zum Glücklichsein« brauchen. Auf Englisch preist er uns verschiedene Metamphetaminpillen an. Ich mache einen Witz und frage ihn, wo er denn herkomme. Er sei Nigerianer und dazu da, »Frauen glücklich zu machen«, erwidert er. Dann erzählt er uns, er lebe schon seit fünf Jahren in Tokio, sei Unternehmer und »Nachtmensch«. Er lacht ein wenig und macht sexuelle Anspielungen. Zum Abschied fragt er mich, wo ich denn herkomme. Als ich ihn auffordere zu raten, meint er: »Kolumbien. Die schönsten dunkelhaarigen Frauen sind Kolumbianerinnen.« Diesem ermüdenden Klischee begegne ich in Japan überall.
»Was würdest du einer Kolumbianerin empfehlen, damit sie in Tokio in Ruhe gelassen wird?«, frage ich ihn. Mit dem Blick eines Wahrsagers antwortet er: »Hüte dich vor den Iranern. Das sind böse Männer.« Er meint damit die iranische Mafia, die in Tokio den Heroinmarkt kontrolliert. Er und andere Nigerianer verkaufen synthetische Drogen der chinesischen Mafia, während die Yakuza den Menschenhandel und die Prostitution kontrollieren.
Wir gehen weiter und kommen an einem Geschäft vorbei, in dem Kinderpornos in Comicform und Sexspielsachen neben Hello-Kitty-Püppchen, Teddys und anderem Kinderspielzeug verkauft werden.
Als wir in die Nähe der Bar kommen, in der ich einige minderjährige Prostituierte interviewen möchte, erstarre ich. An einer Ecke sitzen vier Polizisten in einem Wachhäuschen, das aussieht wie ein hellerleuchtetes Aquarium. An der gegenüberliegenden Straßenecke stehen vier junge Kolumbianerinnen und warten unter den Augen ihres Zuhälters und Menschenhändlers auf Kundschaft. Sechs Stunden zuvor hatte mir der Chef der japanischen Polizei versichert, dass der Frauenhandel in Japan praktisch nicht existiere.
Am nächsten Tag zeigt mir meine japanische Journalistenkollegin einen Bericht über die offizielle Amtseinführung des neuen Mafia-Paten. Der Yamaguchi-gumi – das mächtigste Yakuza-Syndikat – hatte seinen neuen Boss gewählt, den 63 -jährigen Kenichi Shinoda. Die Zeremonie fand in Kobe statt, einem Lehen des Klans im Westen von Tokio. An den Feierlichkeiten nahmen Hunderte Bosse des Yamaguchi-gumi und Abgesandte von verbündeten Gruppierungen aus ganz Japan teil. Wie es die Tradition der japanischen Mafia verlangt, stießen die Versammelten mit einer Tasse Reiswein an. In dem Bericht, der später in der japanischen Presse veröffentlicht wurde, hieß es, dass während der Weihe Shinodas das Anwesen der Verbrecherbande von Polizeibeamten in Zivil bewacht wurde.
Zahlen am Körper
Wieder und wieder haben mir die zwangsprostituierten Frauen und Mädchen in Interviews ganz konkrete Zahlen genannt. Sie müssen nicht schätzen, denn sie sind darauf konditioniert, ihren »Paten« jeden Tag genaue Summen zu nennen, von denen ein Teil an die Mafiosi und Polizisten geht, die die Straßen bewachen, und ein anderer an die Stundenhotels. Die Zahlen sind ihnen in den Körper eingebrannt.
Die von mir interviewten Kolumbianerinnen, Mexikanerinnen und Russinnen, die in Tokio auf den Straßenstrich gehen und mit astronomischen Schulden von den Yakuza versklavt werden, hatten in schlechten Nächten vier Kunden, in normalen sechs und in den besten bis zu 14 . Eine 21 -jährige Kolumbianerin zog ein Notizbüchlein im Hello-Kitty-Design aus ihrer Tasche, in dem sie genau festgehalten hatte, wie viele Klienten sie in den elf Monaten seit ihrer Ankunft in Japan gehabt hatte. Sie brannte darauf, die 15 000 Dollar Schulden abzubezahlen, die ihr Zuhälter von ihr verlangte, der sie über ein internationales Netzwerk gekauft und aus Medellin hatte bringen lassen. Erst wenn sie ihre Schulden abbezahlt hatte, konnte sie Geld sparen, um nach Hause zurückzufliegen. Seit Beginn ihrer Versklavung hatte sie 1320 Klienten gehabt. Die zehnjährigen Mädchen, die in Pattaya in Thailand befreit wurden, erzählten mir, dass sie jeden Tag sechs oder sieben »Yum-yum«-Kunden hatten. Ein 17 -jähriges Mädchen,
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