Sklaverei
Wirklichkeit verkaufe sie gerade den Schutz vor der Gewalt. Die Gewalt ist nichts als ein Mittel, um effektiven Schutz vor ihr zu verkaufen: Egal ob für einen Menschenhändler vor Ort, der seine Sklavinnen vom Flughafen in seinen Nachtclub bringen will; für einen Drogenhändler aus Kolumbien oder Ecuador, der bei der Lieferung seiner Ware nach Mexiko nicht in die Machtkämpfe der örtlichen Kartelle verstrickt werden will; für einen russischen Produzenten von Kinderpornographie, der seine Ruhe vor den britischen Internetermittlern haben will; oder für den Betreiber von neuen Bordellen in der Karibik, sei es
Dr. Nights
,
Charli's Angels
oder anderen »Spas« in der Dominikanischen Republik, Oasen für europäische und amerikanische Sextouristen, die den daheim verbotenen Sex mit Minderjährigen suchen.
Die Mafia ist nicht unbedingt selbst der Betreiber des Sexgewerbes (vielleicht mit Ausnahme der Yakuza). Sie ermöglicht es der Branche vielmehr, weiter zu wachsen und sich auf immer neuen Wegen dem Gesetz zu entziehen. Während meiner Reisen und Recherchen habe ich etwas entdeckt, was man vielleicht als die Entwicklung eines neuen Typs von Mafia bezeichnen könnte, der sich auf die Versklavung von Menschen spezialisiert.
Die Hilfsorganisationen, die Opfer des Menschenhandels unterstützen, haben eine große Schwäche: Sie unterstützen mit ihrer Arbeit indirekt die Verbrecherorganisationen. Wenn ausgebeutete Frauen gerettet werden, müssen die geschädigten Unternehmer ihre Netzwerke mobilisieren, um »Frischfleisch« zu beschaffen, wie ein Menschenhändler aus Nicaragua es ausdrückte. In der Regel haben ihre Mittelsmänner innerhalb von 72 Stunden Ersatz besorgt. Der Unternehmer benötigt die Mafia außerdem für den Fall, dass seine Opfer aussagen, oder für den sehr unwahrscheinlichen Fall, dass Ermittlungen eingeleitet werden, ehe die Korruptheit der Polizei greift. Wenn es schließlich zum Prozess kommt, fordert die Mafia einen Sonderzuschlag. Einige, darunter auch die Yakuza, haben ihre eigenen Anwälte, die Bürgschaften für undurchsichtige Unternehmungen wie Bordelle und Kasinos bezahlen. Wenn wir verstehen wollen, wie die Versklavung von Menschen funktioniert, müssen wir uns zunächst klarmachen, dass die Prostitution nichts anderes ist als ein Gewerbe und die Frauen, Mädchen und Jungen dessen Produkt.
Die unternehmerischen Strategien der Mafia
An der Haltestelle Ginza, zwei Straßen von meinem Hotel entfernt, steige ich in die U-Bahn von Tokio. Ich muss einmal umsteigen, um zur Haltestelle Kabukicho im Rotlichtviertel Shinjuku zu kommen, wo Videos mit Kinderpornographie verkauft werden. Dort treffe ich meine Informanten.
Ich blicke auf ein Schild, das den Gebrauch von Mobiltelefonen in der U-Bahn untersagt: »Belästigen Sie die anderen nicht!«, fordert die Kampagne auf Japanisch. Neben dem Schild steht ein ungefähr 50 -jähriger Mann und liest ein Buch. Mir fallen seine aufrechte Haltung und die diskreten Bewegungen auf, mit denen er die Seiten umblättert. Ich bemerke etwas an seiner Hand und beobachte ihn verstohlen beim Lesen. Dann sehe ich, dass von seinem kleinen Finger nur noch der Stumpf übrig ist. »Yakuza, yubitsume!«, durchfährt es mich. Er sieht mich an, verbirgt die Hand und spitzt den Mund zum Zeichen des Missfallens ob meiner Aufdringlichkeit. Ich blicke mich um. Ich bin offenbar die Einzige, die überrascht ist. Die Japaner begegnen den Yakuza mit einer Mischung aus Bewunderung, Hochachtung und Angst.
Die Yakuza ist die traditionelle japanische Mafia. Sie wurde im 17 . Jahrhundert gegründet und ist in aller Welt bekannt, weil sie trotz der Modernisierung an den alten Traditionen festhält. Yubitsume ist das Ritual, das die Angehörigen der Mafia ausführen, wenn sie einen Fehler gemacht oder einen kleineren Verrat begangen haben. Dazu schlagen sie sich mit einem Schwert oder langen Messer mit einem Hieb ein Glied des kleinen Fingers ab und übergeben es dem Oyabun oder Führer. Das Ritual stammt aus einer Zeit, als das Schwert die Waffe der Yakuza war. Da der kleine Finger bei der Führung des Schwerts unersetzlich ist, bedeutet seine Amputation, die Waffe nun nicht mehr optimal einsetzen zu können und sich dem Schutz der Gruppe unterstellen zu müssen, um überleben zu können. Der Individualismus wird in der japanischen Kultur ganz allgemein nicht sonderlich geschätzt, und unter den Yakuza schon gar nicht.
Dank dreier Frauen, die nach Japan verschleppt wurden,
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