Sklavin des Herzens
habe Sie aufgestöbert, als Sie mit Ihrem kleinen Bündel auf der Flucht waren.«
Das ließ sie nicht auf sich sitzen. »Wenigstens hatte ich die Wahl, Hakeem, Ich mußte nicht ausharren und mich zwingen lassen, einen für mich unakzeptablen Mann zu heiraten. Aber welche Wahl habe ich jetzt?«
»Sie können Ihr neues Leben akzeptieren oder nicht. Sie können es weit bringen, Lalla, wenn Sie nur wollen. Reichtümer und eine gewisse Art von Freiheit werden Ihnen gehören. Sie müssen nur danach streben, sich den Platz als Lieblingsfrau zu erobern.«
»Ich werde mich nicht prostituieren. Eher will ich als Dienstmagd arbeiten.«
Hakeem rang vor Abscheu die Hände und ließ Chantelle allein. Sie weinte – weil es stimmte. Sie wollte lieber die niedrigsten Dienste verrichten, als das Bett eines Fremden zu wärmen – doch eigentlich wollte sie keines von beiden. O Gott, welche Schuld hatte Charles Burke auf sich geladen! Denn ihm hatte sie zu verdanken, daß sie hier war, daß sie sich so ängstigte und in einer hilflosen Lage befand, daß ein für sie verabscheuungswürdiges Leben vor ihr lag.
Daheim würden sie ahnen, daß sie davongelaufen war. Tante Ellen hatte sicher die Verwandtschaft aufgesucht und gehört, was für Chantelle geplant gewesen war. Danach würde auch sie an eine Flucht glauben. Aber sie würde mit Chantelles baldmöglichster Kontaktaufnahme rechnen, würde umsonst warten und sich im Laufe der Zeit Sorgen machen, wenn sie keine Nachricht bekam. Kein Mensch würde je erfahren, was wirklich mit Chantelle geschehen war. Ohne eine Spur zu hinterlassen, war sie aus England verschwunden.
Es hatte nur einen starken Sturm gegeben, der die Fahrt des Schiffes mehrere Tage lang aufgehalten hatte. Chantelle hoffte auf weitere Stürme, aber das Wetter blieb schön. In der kleinen Kajüte stieg die Hitze an, nachdem das Schiff die enge Straße von Gibraltar passiert hatte und in den Mittelmeerraum vorgedrungen war.
Dreizehn Tage später rückte das Ziel der Reise in greifbare Nähe. Als Chantelle durch das schmale Bullauge ihrer Kabine blickte, sah sie Barka als glänzendes Kleinod an der nordafrikanischen Küste liegen, an der Barbarenküste, wie der lange Streifen genannt wurde, der sich von Marokko nach Ägypten erstreckte. Die Stadt erschien wie ein weißer Edelstein, der in der heißen Mittagssonne schimmerte. Weißgetünchte Häuser mit flachen Dächern schmiegten sich auf steilen Hügeln dicht aneinander, umgeben vom üppigen Grün saftiger Weiden und Felder, darunter das klare blaue Wasser des Hafens und darüber der wolkenlose azurfarbene Himmel. Von der Ferne gesehen, hob sich der orientalische Charakter stark hervor durch die grün gedeckten Kuppeln riesiger Moscheen, die über die Häuser hinausragten und deren jeweils vier Minarette wie Nadeln in den Himmel stachen. Auch Wachtürme mit kegelförmigen Dächern waren vorhanden. Auf der Spitze des höchsten Hügels erstreckte sich ein großes, von dicken Mauern abgeschirmtes Gebäude, das nur der Palast des Herrschers sein konnte.
Näher beim Hafen konnte man oberhalb der hohen Wälle, die Barka umgaben, andere große Bauten sehen: Lagerhäuser für die Fracht der Handelsschiffe vieler Nationen, Baracken für die Soldaten, die die Stadtwälle sicherten, während zwanzig Batterien mit mehr als tausend Kanonen die Bucht beschützten, und Kerker, die das riesige Heer der Arbeitssklaven beherbergten.
Auch der Turm einer christlichen Kirche ragte aus dem Häusermeer, doch unglücklicherweise bemerkte Chantelle ihn nicht. Andernfalls hätte sie vielleicht ein wenig von der Angst abgelegt, die nun ihre veilchenblauen Augen füllte – denn Hakeem hatte es nicht für nötig befunden, ihr zu erzählen, daß der Herrscher von Barka Christen tolerierte, daß viele hier lebten, die keine Sklaven waren, und daß es eine europäische Gemeinde in der Stadt gab. Eine christliche Kirche bedeutete eine heilige Stätte, einen Zufluchtsort, der leicht zu finden war, wenn man fliehen wollte, während das Englische Konsulat nicht so leicht zu lokalisieren sein würde. Aber Chantelle sah die Kirche nicht, und sie sah auch von der Stadt nicht mehr viel, da das Schiff mit dem Landemanöver begann.
Bald danach wurden irgendwelche männlichen Gefangenen an Deck gebracht. Ihr Stöhnen und das Klirren von Ketten veranlaßten Chantelle, sich in ihr Bett zu verkriechen, die Ohren zu bedecken und ihr angstvolles Schluchzen in den Kissen zu ersticken. Wie lange würde es
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