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Skorpion

Skorpion

Titel: Skorpion Kostenlos Bücher Online Lesen
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Dreizehner zu bauen.«
    »So weit uns bekannt ist.«
    »So weit uns bekannt ist«, echote er und seufzte. »Wenn ich es recht verstehe, sind die Bereitschaft zu gewalttätigen Handlungen sowie das mangelnde Einfühlungsvermögen genau die Züge, die die Forscher zu verstärken hofften. Wenig überraschend, dass sie dann dem männlichen Modell den Vorzug gegeben haben.«
    Nur einen kurzen Moment lang glitt sein Blick an ihr vorbei hinaus aufs Meer.
    »Manchmal«, sagte er ruhig, »beschämt es mich, männlich zu sein.«
    Sevgi rückte unbehaglich auf ihrem Hocker hin und her. Sie drehte ihren Sahlep-Becher in beiden Händen. Sie sprachen Türkisch, ihres war wegen mangelnder Übung ein wenig eingerostet, und aus irgendeinem Grund, irgendeiner Assoziation, die vielleicht mit schlechtem Benehmen und Strafe in der Kindheit zu tun hatte, legte die türkische Version dieser Feststellung – beschämt es mich – eine obskure Kraft in Yavuz’ Worte. Sie spürte, wie sich ihr in der kalten Luft voller Mitgefühl die Wangen erhitzten.
    »Ich meine«, fuhr er fort, wobei er sie nach wie vor nicht ansah, »wir legen fest, wie zivilisiert eine Nation ist, anhand des Grads der weiblichen Teilhabe, derer sie sich erfreut. Wir fürchten jene Gesellschaften, bei denen die Frauen nach wie vor keinerlei Macht haben, und das mit gutem Grund. Bei der Untersuchung von Gewaltverbrechen gehen wir, korrekt, davon aus, dass der Täter mit hoher Wahrscheinlichkeit männlich ist. Wir benutzen männliche soziale Dominanz als Prädiktor von Problem und von Leid, weil Männer, wenn alles gesagt und getan ist, das Problem darstellen.«
    Sevgis Blick flackerte hinüber zum Restaurantfenster. Stéphane Névant hatte sich über den Tisch gebeugt, gestikulierte, redete eindringlich. Marsalis sah ihn an, reglos, die Arme auf die Rückenlehne seines Stuhls gelegt, den Kopf leicht zu einer Seite geneigt. Beide Männer schienen in derselben Intensität zu knistern, trotz aller Unterschiede in der Haltung. Dasselbe rohe Gefühl von Kraft. Die Vorstellung fiel schwer, dass einer von beiden jemals von einem Gefühl der Scham spräche. Wegen irgendwas.
    Tief in ihrem Innern erwärmte sich widerwillig etwas und entglitt ihr. Sie spürte erneut, wie sich ihr die Wangen röteten, heftiger, und räusperte sich.
    »Ich glaube, das kann man auch anders sehen«, sagte sie rasch. »Damals in New York hatte ich eine Freundin, Meltem, die ist Imam. Sie sagt, es sei eine Frage der Stadien der gesellschaftlichen Evolution. Sie sind Moslem, ja?«
    Yavuz steckte eine Zunge in die Wange und grinste. »Auf dem Papier.«
    »Nun gut, Meltem sagt – sie ist ebenfalls Türkin, türkische Amerikanerin, meine ich, und sie ist natürlich eine Gläubige, aber…«
    »Ja«, meinte Yavuz gedehnt. »Bringt der Job so mit sich, könnte ich mir denken.«
    Sie lachte. »Genau. Aber sie ist eine feministische Sufi. Sie hat bei Nazli Valipour in Ahvaz studiert, vor dem Zusammenbruch. Sie haben von der Rabiaschule gehört?«
    Der Mann vor ihr nickte. »Habe von ihnen gelesen. Das ist diese Sache mit Ibn Idris, nicht wahr? Stellt sämtliche Autoritäten in der Nachfolge des Propheten in Frage.«
    »Nun, Valipour zitiert Idris, ja, in Wirklichkeit jedoch folgt sie einer Linie direkt zurück zu Rabia Basri höchstpersönlich, und sie argumentiert, dass Rabias Interpretation der religiösen Pflicht als reine religiöse Liebe das, äh, Sie wissen schon, prototypische feministische Verständnis des Islam sei.«
    Und dann brach sie jäh voller Befangenheit ab. Damals in New York war sie nicht daran gewöhnt gewesen, über dieses Zeug zu reden. Heutzutage ging sie selten in die Moschee, fand nie die Zeit dafür. Ihre Gespräche mit Meltem hatten bald nach Ethans Tod aufgehört. Sie war zu wütend über einen Gott, an den sie gar nicht mehr so recht glaubte, und über seine widerhallende Abwesenheit in jedem, der den Fehler beging, sich auf seine Seite zu stellen.
    Aber Battal Yavuz lächelte nur und nippte an seinem Sahlep.
    »Na gut, hört sich wie ein interessanter Ansatzpunkt an«, meinte er. »Wie bringt also Ihre Imam ihren islamischen Feminismus in Einklang mit all diesem unpassenden textlichen Scheiß in den Hadiths und dem Koran?«
    Stirnrunzelnd brachte Sevgi ihr eingerostetes Türkisch auf Vordermann. »Nun, das geht in Zyklen, wissen Sie. Wie der historische Kontext vermuten lässt, musste der männliche Zyklus der Zivilisation zuerst kommen, weil es anfangs keine andere Möglichkeit

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