Skorpion
Kopf, und er hielt sie einfach einen Moment oder auch zwei zwischen ihnen. Dann zuckte er mit den Schultern, nahm einen letzten Zug und warf sie durch die Gabeln des Gestells weg, den langen Abhang zum Wasser hinab.
»Du jagst diese Nachwehen«, sagte er.
»Wir jagen sie.«
Aber draußen, jenseits der Kuppel des Steuerliegeplatzes, kroch ein völlig neuer Tag herein, und die Wellen begann zu verblassen, von Schwarz zu Eisengrau.
40
Zurück im Hotel, dimmte er die Fenster gegen das unwillkommene Licht. Steifbeinig und erschöpft infolge des Jetlags und der Schmerzen vom Kampf stakste er durch die dunkle Suite zum Bett. Er warf die Kleidung auf den Fußboden, stand da und starrte auf sie hinab. S(t)igma, der Rücken der Anstaltsjacke, ließ mit dem fröhlichen Orange Sevgi Ertekin vor seinem inneren Auge auftauchen und winken – sie hatte ihn zum Hubschrauberlandeplatz auf der Bulgakov’s Cat begleitet und ihn dort verabschiedet. Immer noch stand sie da, einen Arm gehoben, als die Cat unter dem Autokopter zurückfiel und die Einzelheiten verschwammen.
Er verzog das Gesicht und versuchte, die Erinnerung abzuschütteln.
Gereizt riss er das Oberbett zurück, kroch darunter und zog sich die Decke über die Schulter.
Der Schlaf kam und begrub ihn.
Das Telefon.
Er erwachte in dem nach wie vor dunklen Raum, wälzte sich herum und war überzeugt, dass er gerade erst die Augen geschlossen hatte. Der stetige bläuliche Schimmer der Digitalzahlen an der Bettkante belehrte ihn eines Besseren. 17.09 Uhr. Er hatte den Tag verschlafen. Er hielt das Handgelenk hoch und starrte blöde auf die Armbanduhr, die er vergessen hatte abzulegen, als ob eine Hoteluhr irgendwie falsch gehen könne. Das Handgelenk schmerzte von dem ungeschickten Hieb, den er Merrin versetzt hatte. Er drehte es leicht, spannte es. Mochte sogar…
Telefon. Geh doch ans verdammte…
Er griff danach, hob den Hörer ans Ohr.
»Ja, bitte?«
»Marsalis?« Eine Stimme, die er kennen sollte, schlaftrunken, wie er war, jedoch nicht zuordnen konnte. »Sind Sie das?«
»Wer, zum Teufel, ist da?«
»Aha, also sind Sie’s.« Der Name ertönte kurz, bevor er selbst den ausgewogenen Tonfall wiedererkannte. »Gianfranco di Palma hier. Büro Brüssel.«
Stirnrunzelnd setzte sich Carl im Bett auf.
»Was wollen Sie?«
»Ich habe gerade mit einem Agenten Nicholson in New York gesprochen.« Di Palmas perfektes UN-Englisch, fast ohne jeglichen Akzent, trieb weltmännisch die Leitung hinab. »Wenn ich es richtig verstanden habe, muss COLIN Ihre Dienste nicht weiter in Anspruch nehmen, und sie haben dafür Sorge getragen, dass sämtliche Anklagen gegen Sie in der Republik fallen gelassen werden. Anscheinend kehren Sie sehr bald nach Europa zurück.«
»Ja? Wäre mir neu.«
»Nun ja, ich glaube, wir müssen keine Formalitäten abwarten. Ich habe heute Nacht ein UNGLA-Shuttle nach SFO geschickt. Wenn Sie vielleicht gegen Mitternacht am Suborbital-Terminal sein könnten…«
»Nein, könnte ich nicht.«
»Wie bitte?«
Das Staatsgefängnis Süd-Florida wirbelte in seine Gedanken hinein, wie schmutziges Wasser, das aus einem verstopften Abfluss wieder hochkommt. Eine jähe Entscheidung ergriff Besitz von ihm, fröhlich wie die Buchstaben auf seiner S(t)igma-Jacke.
»Ich hab gesagt, Sie können sich verpissen, di Palma. Notieren Sie: Sie. Können. Sich. Verpissen. Sie haben mich vier Monate in einem Gefängnis in Jesusland sitzen lassen, und ich wäre noch immer da, Ihren verdammten Anstrengungen zum Trotz, die Sie unternommen haben, um mich rauszuholen. Und Sie sind mir immer noch Auslagen für den verdammten Januar schuldig.« Wie aus dem Nichts heraus war er wütend, zitterte gar unter dem jähen Zorn. »Also denke ich nicht einen verfluchten Moment daran, einfach in diesen verfuckten Orbitalflug zu springen, nur weil Sie schließlich Ihren Schwanz aus dem eigenen Arsch rausgekriegt haben. Ich bin hier noch nicht fertig. Ich bin noch weit davon entfernt, hier fertig zu sein, und ich komme nach Hause, wenn ich fertig und dazu bereit bin.«
Am anderen Ende der Leitung herrschte verbissenes Schweigen.
»Sie verstehen vermutlich«, sagte di Palma schließlich sanft, »dass Sie nicht befugt sind, außerhalb der Jurisdiktion der UNGLA zu arbeiten. Natürlich sind Sie Herr Ihrer Zeit, aber wir können uns nicht damit einverstanden erklären, dass Sie weiterhin Kontakt zu COLIN oder zur Polizei der Rimstaaten halten. Im Interesse von…«
»Was ist los
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