Skorpion
anscheinend wirklich auf eine Antwort.
»Nein. Sie?«
Auf der anderen Seite des Weges stand eine steinerne Bank, ein Zwillingsstück derjenigen, die Carl innehatte. Norton ließ sich darauf nieder.
»Sie werden damit nicht davonkommen«, sagte er hölzern. »Ich werde Sie ins Staatsgefängnis von Süd-Florida zurückschicken lassen. Ich werde Sie für den Rest Ihres verdammten Lebens zurück nach Cimarron oder Tanana schicken lassen.«
Seinem Aussehen nach zu schließen, hatte er geweint. Carl verspürte einen kurzen Stich des Neides.
»Wie geht’s ihr?«, fragte er.
»Sie machen Witze, natürlich. Sie Arschloch!«
Das Netz stieg pochend aus seiner Traurigkeit auf. Er hob eine zitternde Hand und zeigte locker mit einem Finger auf Norton. »Treiben Sie’s nicht zu weit, Norton. Mir wäre sehr danach, jetzt und gleich jemanden umzubringen, und das könnten gut und gern Sie sein.«
»Sie haben mir die Worte direkt aus dem Mund genommen.« Norton starrte auf die eigenen Hände, als schätze er ihre Eignung für diese Aufgabe ab. »Aber das wird Sevgi nicht weiterhelfen.«
»Nichts wird Sevgi weiterhelfen, Sie blödes Schwein!« Irgendwo in diesen herausgefauchten Worten lag eine brutale Befriedigung, als beiße man auf ein Geschwür im Mund, bis es aufplatzte und blutete. »Haben sie es Ihnen nicht gesagt? Es ist ein Haag-Geschoss!«
»Ja, sie haben es mir gesagt. Sie sagen mir auch, dass Stanford die beste Klinik zur Wiederherstellung des Immunsystems an der Westküste hat. Technik auf dem allerneuesten Stand.«
»Spielt keine Rolle. Liegt an Falwell. Nichts außer dem Tod hält diesen Knaben auf.«
»Stimmt genau. Aufgeben, warum auch nicht? Sehr britisch, verdammt!«
Carl starrte ihn mehrere Sekunden lang an, gab einen Laut von sich, als spucke er angewidert aus, und wandte den Blick ab. Eine junge Frau kam vorüber, die ein Fahrrad schob. An den kleinen schwarzen Rucksack, den sie aufhatte, war ein lächelndes Gesicht geheftet, das in einem gnadenlosen Gelb in das frische Morgenlicht hinausblinzelte. Was du auch bist, schlug ein kitschiger Flicken über dem Smiley strahlend vor, sei darin gut!
»Norton«, fragte er ruhig, »wie geht es ihr?«
Der COLIN-Angestellte schüttelte den Kopf. »Sie haben sie stabilisiert. Mehr weiß ich nicht. Sie lassen die Veränderungen des Virus von einem N-Dschinn aufzeichnen.«
Carl nickte. Saß schweigend da.
Schließlich stellte Norton ihm die Frage: »Wie viel Zeit bleibt ihr noch?«
»Ich weiß es nicht.« Carl zog die Luft zwischen den Zähnen ein. Stieß sie nach und nach wieder aus. »Nicht viel.«
Weiteres Schweigen. Weitere Menschen gingen vorüber, tauschten vertrauliche Belanglosigkeiten aus. Lebten ihr Leben.
»Marsalis, wie zum Teufel hat dieser Knabe überhaupt eine Haag-Waffe in die Hände bekommen?« In Nortons Tonfall lag jetzt eine hohe, verzweifelte Note, wie bei einem Kind, das gegen eine unfaire Bestrafung protestierte. »Sie sind überall illegal, wie ich weiß, und auf dem schwarzen Markt unglaublich teuer. Eine tödliche Gefahr in den falschen Händen. Es kann nicht mehr als ein paar hundert Leute auf dem Planeten mit der Erlaubnis geben, eine Haag zu tragen.«
»Ja. Für jeden mit einer größeren Neigung zur Männlichkeit haben Sie gerade das perfekte Objekt der Begierde beschrieben.«
Carl erwärmte sich an dem nebensächlichen Detail wie an erlöschenden Scheiten in einem Feuer, er kuschelte sich förmlich in die Ablenkung, die es bot. »Haag-Waffen sind unendlich attraktiv für jeden, der auch nur im Entferntesten bezaubert ist von Waffen. Ich kannte mal einen Typen in Texas, der hat mir eine halbe Million Dollar für meine geboten. Bar in einem Koffer.«
»Na gut, sehen Sie mal.« Der COLIN-Angestellte rieb sich mit den Händen übers Gesicht. Zog den Kopf zwischen den Fingern wieder hervor. »Sagen wir, dieser Bursche, dieser Onbekend, hat sich irgendwo eine Haag-Waffe hergeholt, weil er davon einen Steifen bekommt. Er bringt sie in eine Situation mit, wo er das Risiko einer Schießerei mit RimSich eingeht, oder das Risiko, von denen eingelocht zu werden, und knapp, bevor das Ganze losgeht, lässt er das verdammte Ding im Auto? Das kommt mir völlig bescheuert vor.«
»Ja, allerdings.« Er hatte die ganze Nacht lang darüber nachgedacht, hatte auf einem Stuhl draußen vor der Intensivstation gesessen und den unumkehrbaren Marsch der Ereignisse zusammengesetzt, die Sevgi Ertekin in einen Versorgungskokon auf der anderen Seite der
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