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Skorpion

Skorpion

Titel: Skorpion Kostenlos Bücher Online Lesen
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Horizont. Als ob sie noch nicht benommen genug wäre, verdammt!
    Und sie schien eine Ewigkeit daran zu kleben. Nicht bloß an diesem Scheiß, was das nun sein mochte, am ganzen Fall der Horkan’s Pride. Die ganze verfluchte Sache mit Marsalis, den missratenen Versuch, etwas daraus zu machen. Die wiederholten Anrufe bei ihrem Vater, die gestelzten, sorgsam höflich gehaltenen Gespräche und die Barriere, die sie nicht mehr länger durchbrechen konnte. Die Erinnerungen an Ethan, an den Kampf um Überwachung und Re-Implantation ihres zukünftigen Murat, an die endlosen Reihen von Anwälten und ihre verfluchten Wartezimmer. Der Kampf darum, den Glauben nicht zu verlieren, zur Moschee zu gehen und dort zu finden, was aus Rabias Poesie und Nazli Vapours Geschichten und Meltems freundlich lächelnder Geduld herauskommen mochte. Die Suche nach Gründen, weiterzumachen, die ihre Ursache nicht in der Flasche oder in Pillen hatten.
    Alles marschierte ihr in einer grellen Prozession durch die Gedanken, und sie war es plötzlich leid, war die Mühe leid. Besser, einfach dem Wabern und Glitzern der Lichter unten in der Stadt zuzuschauen, dorthin zu gehen, wohin der Flug sie tragen mochte, den Motoren zu lauschen, die ihren Refrain hämmerten wie weißes Rauschen, als liege man neben einem Wasserfall, der ganz, ganz leicht nach Öl und heißem Metall roch. Der abkippende Nachthimmel, das Gefühl von Meer, eben und schwarz dahinter. Nicht so schlimm, wenn man es sich überlegte, wirklich nicht so schlimm. Nicht so schwer.
    Nicht lange danach gab sie es auf, sich daran zu klammern, ließ einfach los und glitt den Abhang ihrer gewaltigen Müdigkeit hinab.



 
Von den hier von uns angesprochenen Problemen ist die gesamte Menschheit betroffen. Kein noch so großes Ausmaß an privilegiertem Rückzug, an Separation oder hierarchischem Ausschluss wird dabei helfen, auch nur einen von uns vor dem Fallout an Nebenwirkungen zu schützen, der bereits eingesetzt hat. Wenn wir so arrogant sind und nicht zugeben wollen, dass wir alle betroffen sind, und wenn wir nicht dementsprechend handeln, während noch Zeit ist – dann wird der Preis, den wir für unsere Missachtung der Tatsachen zu zahlen haben, gewaltig sein, und er wird auf unser aller Schultern lasten.
    Jacobsen-Report, August 2091

 
43
     
     
    Die Dämmerung kroch über den Campus von Stanford wie ein behutsamer Maler, mischte Farben in den unfarbenen düsteren Glanz am Himmel, sodass er durch sämtliche Schattierungen von Grau in das Blau eines klaren Morgenhimmels hinüberglitt. Zugleich legte er eine beigefarbene Schicht nach der anderen über die Sandsteinkanten der Krankenhausgebäude, wobei er sich von oben nach unten vorarbeitete. Die Hecken und Bäume in den Gärten erhielten ihr Grün zurück, und die Menschen strömten allein oder zu zweit über die Kieswege. Einige wenige warfen dem schwarzen Mann, der für sich auf der Bank saß, einen Blick zu, aber niemand blieb stehen. An ihm haftete eine merkwürdige Reglosigkeit, die jeglichen Impuls unterdrückte, einen menschlichen Kontakt mit ihm aufzunehmen, und dazu führte, dass die Gespräche verstummten. Diejenigen, die in der Notaufnahme des medizinischen Zentrums arbeiteten, erkannten auf einen Blick, was das zu bedeuten hatte. Das hier war ein Mann, der sich einer Operation ohne Betäubung unterzog – das langsame Abtrennen seiner selbst, wie mit einer Säge, von einem anderen Menschen irgendwo in der Klinik.
    Auf dem Highway 101 draußen, wo in der Nacht nur hin und wieder das Brausen eines vorbeikommenden Fahrzeugs ertönt war, baute sich ein stetiges Hintergrundgemurmel auf. Vogelgezwitscher gab dazu einen selbstbewussten akustischen Kontrapunkt ab, als würden Hände voller leuchtend bunt gefärbter Kieselsteine beständig auf ein breites graues Förderband geworfen. Dazwischen spritzten mit zunehmender Stärke und Häufigkeit menschliche Stimmen auf, und das Knirschen der Schritte auf dem Kies tönte wie ein Grab, das ausgehoben wurde. Der Tag erstürmte die Mauern, die Carl in den kalten Nachtstunden um sich errichtet hatte, und zerschmetterte und zerschlug die Schlichtheit seiner Wache mit menschlichen Einzelheiten. Aus den Trümmern sah er mit einer Ruhe sowie einem unversöhnlichen Hass auf alles heraus, das er sehen und hören konnte.
    »Jetzt glücklich?«
    Norton stand vor ihm, außer Reichweite. Er hatte irgendwo in seinen Kleidern geschlafen, sogar die Marstech-Jeans waren zerknittert.
    Er wartete

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