Skorpion
Idee gewesen. So oder so, ihr schmerzten jetzt die Augen. »Noch besser, überleg dir mal, ob du dich nicht besser entschuldigst, wenn du weißt, wie das funktioniert. Du hast voll daneben gelegen. Ende der verfluchten Geschichte.«
»Nicht angeben, Ertekin. Denk dran, steht dir nicht.«
Und da musste sie lachen, trotz der drückenden Last ihrer Müdigkeit. Aus der Ferne hörte sie eine herankommende RimSich-Sirene.
»Und ich möchte auch nicht aufs Kreuz gelegt werden«, bemerkte sie.
»Tja, schon passiert.«
Sie kicherte. »Oh, nein, verflucht.«
»Doch.«
»Verflucht, nein, du…«
Sie hustete heftig, völlig überrascht von der jähen Heftigkeit. Schüttelte den Kopf und entdeckte, dass ihr die Tränen in den Augen standen. Sie hörte Marsalis ein Kichern hervorstoßen.
»Nun gut, dann vielleicht nicht. Ich möchte nicht…«
Ein weiteres Schaudern durchlief sie, heftiger. Im Kielwasser des Hustens schmerzte ihr plötzlich der Kopf. Sie runzelte die Stirn und hob eine Hand an die Schläfe.
»Sevgi?«
Sie schaute auf und zeigte ihm ein verwirrtes Lächeln. Das Zittern war nach wie vor da, sie hatte es ganz und gar nicht abgeschüttelt. Die Sirene war jetzt lauter, schien jedoch in ihrem Kopf festzustecken, und der Lärm, den sie dort vollführte, kratzte heftig. »Mir ist nicht allzu gut.«
Sein Gesicht erstarrte schockiert zur Maske.
»Womit hat er auf dich geschossen, Sevgi?«
»Weiß nicht…«
»Hast du die Waffe gesehen, mit der er auf dich geschossen hat?« Er war um die Bar herum, stand neben ihr, während sie schläfrig den Kopf schüttelte.
»Nein. Er ist weg. Wie ich sagte.«
Er drehte sie um, legte ihr die Hände zu beiden Seiten an den Kopf. Seine Stimme war angespannt und drängend. »Hör mir gut zu, Sevgi. Du musst wach bleiben. Du wirst dich in den nächsten Minuten sehr müde fühlen…«
»Werde mich fühlen?« Sie kicherte. »Verflucht, Marsalis, ich könnte gleich hier auf diesem verdammten Boden einen Monat lang schlafen.«
»Nein, du bleibst wach!« Er schüttelte ihren Kopf. »Hör zu, sie kommen, sie werden gleich hier sein. Wir bringen dich ins Krankenhaus. Jetzt kipp mir bloß nicht um!«
»Wovon redest du eigentlich? Ich werde nicht…«
Sie hielt inne, weil sie sah, weil sie erschöpft erkannte, dass seine Augen in Tränen schwammen, wie ihre eigenen. Sie runzelte die Stirn, und die Haut auf ihrem Gesicht war heiß, dick und steif, sie musste gewaltsam einen Ausdruck hineinlegen, so, als müsse sie eine Hand in einen engen, neuen Handschuh schieben. Sie stieß einen kleinen, erheiterten Laut aus.
»He, Marsalis.« Sie versuchte, die Silben nicht zu verschleifen. Es gelang ihr nicht. »Was ist los? Du fühlst dich auch nicht sonderlich gut?«
Das Sanitäterteam von RimSich brachte sie auf einer Trage hinaus in den Helikopter. Sie wusste nicht so genau, wie es dazu gekommen war. Vor einer Minute hatte Marsalis sie in dem von Leichen übersäten Scheißhaus von Bar in den Armen gewiegt, als Nächstes waren sie in der kühlen Luft draußen gewesen, und sie hatte geradewegs zu den verschleierten Sternen aufgesehen. Bewusstsein war ein schlagendes Tuch hinter ihrer Stirn, vorhanden, verschwunden, verschwunden, wieder da. Sie versuchte, den Hals zu recken und nachzusehen, was um sie herum geschah, aber da war nur verschwommenes Rufen und Lichter und eilige Geschäftigkeit. Das Rattern der Hubschrauberrotoren fügte sich nahtlos dem hinzu, was jetzt schädelzerreißende Kopfschmerzen waren.
»Sevgi?«
Oh, Marsalis. Er war da.
»Schon okay, Sir. Wir übernehmen von jetzt an.«
»Sagen Sie ihnen, es ist ein Haaggeschoss.« Sie verstand einfach nicht, weswegen er schrie, vielleicht wegen des Lärms der Rotorblätter. Vielleicht hatte sie viel Blut verloren. »Sie sagen ihnen, sie müssen die intelligentesten Anti-Virenstoffe anwenden, die sie haben, sofort.«
»Das wissen wir, Sir. Wir haben bereits angerufen.«
Sie kniff in dem Glanz der Landescheinwerfer des Hubschraubers die Augen zusammen. Was wehtat. Sie konnte so gerade eben Marsalis’ mächtigen Körper erkennen. Er hielt einen der Sanitäter an den Schultern gepackt und rüttelte ihn.
»Lassen Sie sie nicht sterben, verdammt!«, schrie er gerade. »Ich werde Sie und alle anderen, die Ihnen lieb und teuer sind, umbringen, wenn Sie sie sterben lassen!«
Rauferei. Der Hubschrauber wackelte, hob ab und flog davon. Lichter über sämtliche Hügel der Stadt verstreut, das Steigen und Fallen, der abkippende
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