Skorpion
versuchte, sie ihr zu verkaufen. Ich weiß nicht, ob Sie beide je zusammen…«
»Haben wir nicht.« Herausgefaucht, gereizt und hart.
»Nein, na gut, anscheinend reichte das, was Sie halt miteinander teilten, recht tief.«
Langes Schweigen. Norton schaute sich im Garten um, als sähe er eine Art Erklärung in einem der Sträucher hängen.
»Sie war Polizistin«, murmelte er schließlich. »Zwei Jahre bei COLIN, aber ich glaube nicht, dass sie sich je wirklich verändert hat.«
»Ja. Sie war eine Polizistin. Deswegen hat sie Ihnen den Rücken gestärkt, ihrem Partner, gegenüber allem, was ich Ihr verkaufen konnte. Und deswegen ist sie Onbekend auf der Straße gefolgt, und deswegen ist sie erschossen worden.«
Weiteres Schweigen. Direktes Sonnenlicht erreichte den Grund der Gebäude, vergoldete den Kies. Jetzt sickerte ein wenig echte Wärme in den Tag. Eine Gruppe von Studenten eilte vorüber. Offensichtlich hatten sie sich verspätet. Eine Frau im blauen Arztkittel kam von der Intensivstation zu ihnen herüber.
»Wer von Ihnen ist Marsalis?«, fragte sie gebieterisch. Die chinesischen Züge unter dem kurz geschnittenen schwarzen Haar waren von Erschöpfung verzerrt.
Carl hob die Hand. Die Ärztin nickte.
»Sie kommen besser mit rein. Sie fragt nach Ihnen.«
Norton sah beiseite.
Das V-Format war vom absolut neuesten Stand der Technik und benötigte weitaus weniger Zeit dafür, sein Dreizehner-Nervensystem zu einem entspannten Zustand zu überreden und die Illusion zu akzeptieren, als er gedacht hätte. Er materialisierte hinter gläsernen Schiebetüren, die vom Boden bis zur Decke reichten. Auf der anderen Seite lag ein Garten, weniger nüchtern und stilisiert als derjenige, in dem er in der echten Welt gesessen hatte. Hier umringte ein Kranz üppigen Bewuchses den gut gepflegten Rasen, nickende Farne und herabhängendes Blattwerk, dahinter hohe gerade Bäume. Zwei hölzerne Liegestühle standen in der Mitte.
In einem davon saß Sevgi Ertekin, locker gekleidet in einen schiefergrauen und blauen Kimono, bestickt mit arabischen Schriftzeichen. Sie wartete. In ihrem Schoß lag ein Buch, aber sie hielt es geschlossen, die Finger locker zwischen die Seiten gesteckt, und sie hatte den Kopf gehoben, wie zum Lauschen. Sie starrte etwas anderes an, als ob jemand bereits auf der anderen Seite des Gartens wäre und ebenfalls wartete.
Die Scheibe glitt geräuschlos zurück, und er trat hindurch. Die Bewegung erregte ihre Aufmerksamkeit, oder das System war so gepolt, dass es beim Eintreffen von Besuchern klingelte. Sie sah ihn und hob einen Arm zum Gruß.
»Hübsch, nicht wahr?«, rief sie. »Keine Kosten und Mühen gescheut für sterbende COLIN-Angestellte, weißt du.«
»Das sehe ich.« Er ging zu ihr und sah ihr ins Gesicht. Das System hatte nicht zugelassen, dass sich Spuren ihrer Krankheit auf dem Abbild zeigten.
Sie winkte. »Dann komm. Setz dich, nimm’s in dich auf!«
Er setzte sich.
»Vermutlich sehe ich hier drin besser aus als in Wirklichkeit«, sagte sie strahlend. Es schien, als hätte sie seine Gedanken gelesen, was ihn verblüffte. »Stimmt’s?«
»Ich weiß es nicht. Sie haben mich noch nicht zu dir hineingelassen.«
»Na ja, sie haben mir auch noch keinen Spiegel gegeben. Dann wiederum habe ich nicht danach gefragt. Die Idee dahinter ist vermutlich die, dass man sich um sich selbst so wenig Sorgen wie möglich machen soll und dass dies den Lebenswillen befeuert, ebenso wie das Immunsystem, und dich so bald wie nur menschenmöglich wieder aus ihrer kostspieligen Intensivbehandlung hinausbringt.« Abrupt hielt sie inne, als hätte man einen Stecker herausgezogen, und er erkannte zum ersten Mal, wie viel Angst sie wirklich hatte. Sie leckte sich die Lippen. »Natürlich trifft diese Abfolge nicht auf mich zu.«
Er schwieg. Ihm wollte nichts einfallen, was er sagen könnte. Irgendwo hinter dem Blattwerk murmelte ein Bach in sich hinein. Einige kleine Vögel hüpften auf dem Gras umher, näher an den Menschen, als es in der echten Welt wahrscheinlich gewesen wäre. Sonnenlicht fiel in einem steilen Winkel durch die umgebenden Bäume.
»Mein Vater kommt von New York hergeflogen«, sagte sie und seufzte. »Darauf freue ich mich nicht gerade.«
»Er vermutlich auch nicht.«
Sie stieß ein schattenhaftes Kichern aus, kaum lauter als der Bach. »Nein, vermutlich nicht. Wir sind während der letzten paar Jahre nicht allzu gut miteinander ausgekommen. Haben einander nicht häufig besucht,
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