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Skorpion

Skorpion

Titel: Skorpion Kostenlos Bücher Online Lesen
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einer Ecke des Wohnzimmers lief noch immer die antiquierte JVC-Anlage. Was für ein Chip da auch drin gewesen sein mochte, er hatte bis zum Schluss gespielt, und das launische Defaultsystem hatte versäumt, eine Fehlermeldung zu liefern. Stattdessen rauschte auf dem Monitor der Schnee, und das sanfte Zischen lag an der Hörschwelle, unter den Geräuschen der Stadt draußen. Erfüllte alles wie…
    Ihr Mund wurde zu einem dünnen Strich. Sie wusste, welchen Chip sie gesehen hatte. Sie konnte sich nicht daran erinnern, aber sie wusste es.
    Schon gut, es regnet also nicht draußen.
    Schwankend erhob sie sich und brachte die Anlage zum Schweigen. Einen Augenblick lang stand sie in ihrer Wohnung, als ob sie nicht ihr gehörte, als ob sie dort eingebrochen wäre, um etwas zu stehlen. Sie spürte das ständige Pochen ihres Pulses an der Kehle, und sie wusste, dass sie gleich in Tränen ausbrechen würde.
    Stattdessen schüttelte sie den Kopf, heftig, und tauschte die Tränen gegen einen wie ein Echolot pulsierenden Schmerz ein. Stolperte durch das Schlafzimmer zum Bad, drückte heftig die Finger gegen den Schmerz zusammen. Dort stand eine Plastikflasche mit Gen-Kopfschmerztabletten auf dem Regal, und daneben lag eine Folie mit Syn. Oder, genauer gesagt, k37 Synadrive – Superfunktionskapseln vom Militär, ihr Anteil an dem, was vor langer Zeit vom Schwarzmarkt zum NYPD durchgesickert war, und um einiges stärker als alles, was die Straße Syn zu nennen pflegte. Sie hatte die Kapseln zuvor schon bei einer Handvoll Gelegenheiten benutzt und fand sie schaurig effektiv – sie stimulierten die synaptische Reaktion und körperliche Koordination und hatten nebenbei jede Menge weiterer Wirkungen, und zwar rasch. Sevgi schwankte einen Augenblick lang und begriff, dass sie heute einiges zu erledigen hätte, selbst wenn ihr gerade partout nicht einfallen wollte, was das war.
    Die ganze verdammte Stadt nimmt sowieso Medikamente, Sev. Bring’s hinter dich.
    Sie drückte gleich mehrere Kapseln aus der Folie und wollte sie schon trocken schlucken, als etwas am Rand ihres Blickfelds sie auf sich aufmerksam machte.
    Sie kehrte zurück ins Schlafzimmer.
    »Hallo!«
    Das Mädchen in dem Bett konnte nicht wesentlich älter als achtzehn oder neunzehn sein. Als sie blinzelnd erwachte, wirkte sie sogar noch jünger, aber der Körper unter dem einzelnen Laken war zu gut gebaut für den Bügelbrett-Look. Sie setzte sich, und das Laken glitt von unwahrscheinlich üppigen Brüsten herab. Den Bewegungen nach zu schließen, musste es subkutanes Muskelgewebe sein, was das zustande brachte, und keine Implantate. Teure Arbeit für eine, die so jung war. Sevgi hielt sie mit dieser ganzen nachgemachten Bonobo-Kiste für die Trophäe von jemandem, war jedoch zu verkatert, um ihr Gedächtnis nach Gesichtern von der Party zu durchforsten. Vielleicht war derjenige, der sie mitgebracht hatte, zu verschwenderisch gewesen, um sich beim Abgang nach Hause an alle Accessoires zu erinnern, die er mitgebracht hatte.
    »Wer hat dir gesagt, du könntest hier schlafen?«
    Erneut blinzelte das Mädchen. »Du.«
    »Oh.« Sevgis Ärger fiel in sich zusammen. Sie überstand eine weitere Woge der Übelkeit und schluckte. »Nun gut. Dann such deine Klamotten zusammen und geh nach Hause. Die Party ist vorbei.«
    Sie kehrte ins Bad zurück, schloss sorgfältig die Tür, beugte sich dann, wie um ihren letzten Worten Nachdruck zu verleihen, über die Toilettenschüssel und erbrach sich.
     
    Als sie davon überzeugt war, sie bei sich behalten zu können, nahm sie die k37-Kapseln mit einem Glas Wasser und stellte sich dann unter die warme Dusche, während sie darauf wartete, dass die Wirkung einsetzte. Es brauchte nicht lange. Die Chemie in der Droge war für rasche Aufnahme ebenso getrimmt wie für anhaltende Klarheit, und da sie sonst nichts im Magen hatte, ging die Sache sogar noch schneller vonstatten. Das Pochen in ihrem Kopf wurde schwächer. Sie stieß sich von der gefliesten Wand ab und griff nach dem Duschgel, begann zaghaft auf ihrem Scheitel. Die klatschnasse Wolle ihres Haars löste sich sogleich gehorsam zu seidigen Strähnen, und das Gel lief ihr in schaumigen Klumpen am Leib herab. Es war wie das Abschütteln fünf Tage alter Kleider. Sie spürte, wie sich frische Kraft und Konzentration in sie hineinschmuggelte gleich einem neuen Skelett. Als sie zehn Minuten später triefend aus der Dusche trat, war der Schmerz in einen chemischen Verband gehüllt, und eine

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