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Skorpion

Skorpion

Titel: Skorpion Kostenlos Bücher Online Lesen
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empfindliche, hellsichtige Brillanz hatte seinen Platz eingenommen.
    Was nur zum Teil ein Segen war. Während sie sich vor dem Spiegel abtrocknete, sah sie das Gewicht, das sich an ihrer Hüfte sammelte, und sie schnitt eine Grimasse. Sie hatte seit Monaten keine Sporthalle mehr betreten, und ihr Cassie-Rogers-Astro-Tone- Heimtrainer – verwendet von echtem MarsTrip-Personal! – geriet allmählich in Vergessenheit wie ein Zirkuszelt, das in sich zusammensackte. Der belastende Beweis der Vernachlässigung war deutlich zu erkennen. Und man konnte keine Milissue-Pillen schlucken, damit er verschwand wie ein Schmerz. Die absurd perfekten Flanken des Mädchens in ihrem Bett blitzten ihr durch den Kopf. Die üppige, pralle Designer-Brust. Sie sah auf ihre eigenen Brüste hinab, die ihr tief auf den Rippen hingen und zu beiden Seiten wegkippten.
    Ach, verdammt, du bist jetzt Mitte dreißig, Sevgi. Hast den Versuch aufgegeben, die Jungs an der Bosporusbrücke zu beeindrucken, oder? Hak das ab! Außerdem bist du überfällig, das macht es noch schlimmer.
    Ihr Haar legte sich bereits wieder in seine übliche ungekämmt wirkende Glockenform zurück, während es trocknete. Sie bürstete es mehrmals durch und gab dann verzweifelt auf. Im Spiegel erwiderten ihre größtenteils arabischen Vorfahren ihren düsteren Blick; hohe und breite Wangenknochen, hakennasiges Gesicht und volle Lippen, dazu bernsteingelb funkelnde Augen unter schweren Lidern. Ethan hatte einmal gesagt, in ihrem Gesicht läge etwas Tigerhaftes, aber Sevgi, der das Syn die Sinne geschärft und die sich noch nicht zurechtgemacht hatte, hatte den Verdacht, dass sie heute eher wie eine gereizte Kuh aussah. Die Vorstellung entlockte ihr ein Grinsen, und sie muhte sich im Spiegel an. Ließ das Handtuch fallen und ging sich anziehen. Entdeckte in sich das Verlangen nach Kaffee.
    Wie vorauszusehen, glich die Küche einem Schlachtfeld. Auf jeder verfügbaren Arbeitsfläche stapelte sich benutztes Geschirr. Sevgi folgte den Partytellern durch den Abfall – dunkelgrüne Überreste wie winzige Stofflumpen, wo auf den Platten gefüllte Weinblätter gelegen hatten, spröde Reste von Sigara-Borek-Paste, Aubergine und Tomate in Öl, kalt geworden, eine umgedrehte Lamacun, die jetzt aussah wie ein steifer, trockener Putzlappen. Aus dem Spülbecken ragte ihr trunken ein kleiner Turm Pfannen entgegen wie ineinander geschachtelte Roboter. Flaschen von Efes Export, denen ein leicht säuerlicher Geruch entstieg, der die gesamte Küche erfüllte, waren zu ordentlichen Reihen entlang einer Wand auf dem Fußboden abgestellt worden.
    Gute Party.
    Ein paar der Gäste hatten das bei der Verabschiedung zu ihr gesagt. Eine jähe Lawine der Erinnerung bestätigte das, ein Gewirr von Freunden in ihrer Wohnung, die sich auf Sofas und Knautschsesseln lümmelten, aßen und tranken und mit vollem Mund gestikulierten, gemütlich und ausgelassen. Es war eine gute Party gewesen.
    Ja – schade, dass du anschließend diese Flasche Irish Whiskey köpfen musstest.
    Warum, Sev?
    Sie spürte ihr Gesicht zucken und wusste, dass ihre Augen glanzlos und hart bei dem Gefühl geworden waren, das sie übermannte.
    Du weißt, warum.
    Das Syn tauchte hinter dem Gedanken auf, spitz und hell. Eine jähe Einsicht überkam sie, wie leicht es wäre, jemanden in diesem Zustand umzubringen.
    Das Telefon meldete sich annehmbar leise, als beiße es in Baumwolle.
    »Ich habe den registrierten Kontakt Tom Norton in der Leitung. Wollen Sie den Anruf entgegennehmen?«
    Die Erinnerung an das, was sie an diesem Tag zu tun hätte, plumpste wie ein Ziegelstein auf sie herab.
    Sie stöhnte und holte sich die restlichen Schmerzmittel.
     
    Das Erste, was nicht stimmte, war der Wagen.
    Normalerweise fuhr Norton das lächerliche antike Cadillac-Cabrio von einem halben Hektar Größe und mit einem Kühlergrill, der ständig höhnisch zu grinsen schien, sowie einer Motorhaube, auf der man ein Sonnenbad hätte nehmen können. Zudem war er stolz wie ein König auf das verdammte Ding, was angesichts seiner Vorgeschichte sehr merkwürdig war. Vor Nortons Geburt in irgendeinem Malocherbetrieb in Alabama zusammengebaut, war es ein Fahrzeug, für das er, wäre er damit in New York umhergefahren, im abgekürzten Schnellverfahren eingesperrt worden wäre, wenn er nicht fast den doppelten Auktionspreis dafür bezahlt hätte, dass der ursprüngliche Verbrennungsmotor herausgerissen und durch den Magdrive einer eingestellten Reihe japanischer

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