Skorpion
hat Tanaka gedacht.« Jeff schluckte den Cognac hinunter, schauderte. »Seht ihr, er hat sich ausgerechnet, dass etwa zwanzig oder dreißig Ex-Skorpion-Mitglieder mit ihren neuen Identitäten über Nordamerika verteilt sein müssten, also wüsste Ortiz nicht, woher die Erpressung käme, und er könnte sich ja schlecht selbst aufmachen und sie alle umbringen. Außerdem hat er heutzutage Zugriff auf einen COLIN-Fond, er kann hier und da ein paar Millionen abschöpfen, also leicht zahlen. Wenn es die Linie des geringsten Widerstands wäre.«
»Aber das sieht Ortiz nicht ähnlich«, sagte Norton automatisch.
»Nein. Das ist Tanaka entgangen.«
»Und Ihnen auch«, stellte Marsalis heraus. »Warum hat Tanaka Sie ursprünglich gebraucht? Warum hat er seine Forderungen nicht direkt an Ortiz gestellt?«
Ein weiteres Schulterzucken. »Er hat gesagt, er wolle einen Puffer. Ich weiß nicht, vielleicht wollte er einfach einen Freund, jemanden zur Zusammenarbeit. Es würde hart werden, nicht? Für den Rest deines Lebens eine Tarnexistenz haben. Eine Vergangenheit unter der Decke halten, von der man nie jemandem etwas erzählen kann.«
Marsalis starrte Jeff an wie etwas, das er zerschmettern wollte. »Oh, Sie brechen mir noch das verdammte Herz! Wie ist es also gekommen, dass dieser Sano-Tanaka-Dingens-Knabe vierzehn Jahre gebraucht hat, um zum Erpressen vorbeizuschauen?«
»Ich weiß es nicht«, erwiderte Jeff müde. »Das gesamte Personal von Skorpion hat beim Abgang genügend Mittel erhalten, das war alles Teil der Abmachung. Aber nicht alle verstanden, damit umzugehen. Vielleicht hat Tanaka vierzehn Jahre gebraucht, um seinen Anteil durchzubringen. Oder er ist vielleicht vor ein paar Jahren sehr unglücklich gewesen und hat alles verloren, was er gewonnen hatte. Wenn man finanziell in der Republik zu Boden geht, gibt es da draußen nicht gerade viele, die einem wieder auf die Beine helfen.«
»Stimmt. Also ist dieser erledigte Ex-geheim-operierende- Kleinkriminelle mit einem blauäugigen Plan zu Ihnen gekommen, um auf einen der mächtigsten Männer des politischen und wirtschaftlichen Lebens in Amerika Druck auszuüben. Und Sie haben dem einfach zugestimmt?«
Erneut leerte Jeff sein Glas und saß zusammengekrümmt da. »Natürlich. Warum nicht? Es hätte funktionieren können.«
»Das wüsste ich aber. Wie funktionieren können?«
Jeff griff nach der Flasche. »Tanakas Idee bestand darin, dass er mir die Erpresserbotschaften schickt und ich sie zu Ortiz bringe, als ob ich Angst hätte. Ich bringe Ortiz so weit, dass er zahlt, weise auf den schlauen Zug hin und biete an, als Mittelsmann zu fungieren, damit er sauber bleibt.«
Norton schüttelte den Kopf. »Aber das sieht Ortiz nicht ähnlich. Er würde nicht einfach… Mein Gott, das hättest du wissen müssen, Jeff! Warum hast du das nicht erkannt?«
Jeff warf ihm einen gehetzten Blick zu und entkorkte den Cognac.
»Warum wohl, kleiner Bruder? Ich wollte das verdammte Geld!«
»Ja, aber du musst…«
»Ich habe es nicht, Tom. Gut?« Die Flasche knallte auf den Tisch, die helle Flüssigkeit schwappte umher und spritzte durch den offenen Hals. Jeffs Stimme ging nach oben, sich verteidigend bis hin zu bitterem Zorn. »Was weißt du denn überhaupt von meinem Leben? Für dich ist alles okay, mit deiner verdammten COLIN-Marke, deiner Beförderung, die ich für dich arrangiert habe, deinem verdammten Loft auf der Canal-Street und deinem unverbindlichen, kostenlosen verdammten Jet-Set-Leben. Weißt du, was ich hier bei Human Cost verdiene? Für vierzehn Stunden am Tag, sechs und manchmal sieben Tage die Woche, weißt du, was ich da verdiene, verdammt? Ich habe zwei Kinder, Tom, eine Frau mit kostspieligem Geschmack, noch keine finanzielle Vorsorge für das Alter. Was weißt du denn alles davon, Tom? Du treibst dahin, du treibst dahin durchs Leben, verflucht! Also komm mir nicht und erzähle mir, was ich hätte wissen sollen oder nicht! Ich wollte das Geld, das ist alles. Ich war dabei.«
Norton starrte ihn an, zu benommen, um die Bruchstücke aufzuheben und zusammenzulegen. Es war zu viel, zu viel war aus seiner Welt herausgeflogen.
»Ich wohne nicht auf der Canal-Street, Jeff«, sagte er töricht. »Habe ich nie getan. Sondern in Lispenard. Das solltest du wissen.«
»Erzähle mir nicht, was ich wissen sollte, verdammt!«
»Warum sagen Sie uns nicht, was schief gegangen ist?«, schlug Marsalis vor. »Ortiz wollte nicht mitmachen, stimmt’s?«
»Nein.« Jeff griff
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