Skorpion
die möchtest du haben.«
Norton drückte sich Daumen und Zeigefinger auf die Lider. »Weißt du was, Jeff, vielleicht tu ich’s und vielleicht auch nicht. Aber gerade im Augenblick ist das nicht meine erste Sorge. Meinst du, wir könnten zur Abwechslung mal über was wirklich Bedeutendes sprechen?«
Er bekam nicht mit, wie sich der Ausdruck auf dem Gesicht seines Bruders veränderte, wie das Grinsen erlosch und einer wachsamen Anspannung Platz machte. Jeff wich zurück, ließ sich in den gegenüberliegenden Sessel fallen und streckte die Beine aus. Als ihn Norton ansah, erwiderte er den Blick und gestikulierte.
»Na gut, Tom, du bist dran. Was ich meinerseits tun kann. Ist jedoch lange her, seitdem ich viel in New York zu erledigen hatte. Ich meine, ich kann vielleicht einige Anrufe tätigen, wenn sie dir im Nacken sitzen, aber…«
»Nein, nichts dergleichen.«
»Nicht?«
»Nein, wir haben bei der Sache so ziemlich freie Hand. Segen von oben, tut, was ihr wollt, aber beseitigt bloß den Schlamassel.«
»Und was für’n Schlamassel ist das nun genau? In den Nachrichten heißt es, alle an Bord seien tot.«
»Ehen. Und seit wann vertraust du dem, was du in den Nachrichten siehst? Die Wahrheit lautet, dass wir einen Überlebenden haben, und der ist aus dem Schiff entkommen. Das ist eine vertrauliche Information, die ich dir da gebe, Jeff. Darf diesen Raum nicht verlassen, dieses Gespräch. Stillschweigen auch Megan gegenüber.«
Jeff spreizte die Finger. Langsam erschien ein Lächeln auf seinem Gesicht. »He, seit wann habe ich Megan je was erzählt? Du kennst mich doch, Tom.«
»Ja, schon gut.« Er unterdrückte seinen Ärger, der alt und gewohnt war wie der Kick, den er erhielt, wenn er, ohne auf die Bremse zu treten, den Cadillac herunterschaltete.
»Also, nun komm schon! Worin liegt das große Geheimnis?«
»Das große Geheimnis ist, dass dieser Bursche eine Variante Dreizehn ist.«
Er verspürte eine leise Befriedigung angesichts Jeffs Reaktion. Dessen Augen wurden groß, die Kinnlade fiel ihm herab, und der Mund wollte eine Erwiderung formen, die er nicht parat hatte. Norton dachte, dass es ein wenig aufgesetzt wirkte, aber er hatte sich über die Jahre hinweg an diesen Aspekt Jeffs gewöhnt, diese schauspielerhafte Weise, wie er sich vor jeder Art von Publikum darzustellen pflegte, immer etwas größer als das Leben. Er hatte es, nachsichtig, stets als den Preis dafür zu sehen versucht, in den erlauchten Kreis der Mächtigen eingelassen zu werden, in den sein Bruder mit so großem Aplomb aufgenommen worden war, als sie beide noch jünger gewesen waren. Jetzt jedoch, da sein Bruder anscheinend selbst nachsichtig geworden war, ohne irgendetwas von dieser manierierten Politur zu verlieren, zog Norton gezwungenermaßen in Betracht, dass Jeff vielleicht immer schon so gewesen war, immer schon für die billigen Plätze gespielt hatte.
»Du hast täglich mit solchen Sachen zu tun, Jeff«, bemerkte er schlicht. »Ich brauche hier deinen Rat.«
»Hast du die UNGLA angerufen?«
»Noch nicht. So, wie die Dinge liegen, ist das auch sehr unwahrscheinlich.«
»Du willst meinen Rat? Ruf sie an!«
»Komm schon, Jeff. COLIN wollte nicht mal das Münchener Abkommen unterzeichnen. Meinst du etwa, sie möchten, dass die UN mit ihren großen internationalen Vertragsstiefeln über ihr ganzes Zeug drüberstapft?«
Jeff Norton stellte seinen Drink auf einem hohen Tisch aus Treibholz ab, einem entfernten Vetter des Schränkchens, und rieb sich mit den Händen übers Gesicht.
»Wie viel weißt du über die Variante Dreizehn, Tom?«
Norton zuckte mit den Schultern. »Was halt alle wissen.«
»Was alle wissen, ist Hyperreaktion und moralische Entrüstung für die Nachrichten. Was weißt du wirklich?«
»Äh, es sind Soziopathen. Irgendein Atavismus aus der Zeit, als wir alle noch Jäger und Sammler waren, nicht wahr?«
»Auf eine Art, ja. Die Wahrheit lautet, Tom, dass es wie bei den Bonobos, Hibernoiden und sämtlichen anderen re-engineerten Züchtungen ist: eine übereilte, schlecht konzipierte Einmischung in die Natur, die uns diese idiotisch optimistischen Pioniere aus dem letzten Jahrhundert eingebrockt haben. Wildes Herumraten und böse Absichten. Niemand hat je eine menschliche Variante gebaut, weil er glaubte, der Menschheit damit eine bessere Zukunft zu verschaffen, Freiheit und das Streben nach dem verdammten Glück. Das waren Produkte, sie alle, mit einem bestimmten Ziel. Die Raumfahrtprogramme wollten
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