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Skorpion

Skorpion

Titel: Skorpion Kostenlos Bücher Online Lesen
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lassen. Norton hielt seinem Blick stand. Carl zuckte mit den Schultern.
    »Vielleicht war es Wut«, meinte er. »Aus irgendwelchen Gründen hat dieser Merrin vielleicht die Beherrschung verloren.«
    Ertekin runzelte die Stirn. »Na schön. Aber dann hat er bloß was? Sich einfach wieder beruhigt und sie exekutiert.«
    »Vielleicht.«
    »Das erscheint mir nach wie vor wenig sinnvoll«, meinte Norton.
    Erneut zuckte Carl mit den Schultern, diesmal abtuend. »Warum auch?«
    »Was soll denn das wieder heißen?«
    »Es soll heißen, Norton, dass Sie auf einer grundlegenden biochemischen Ebene Merrin völlig unähnlich sind. Gilt für Sie beide. Tief im limbischen System, wo es drauf ankommt, über die Amygdalae und hinauf zum Orbitofrontal-Cortex. In Merrin laufen etwa tausend biochemische Prozesse ab, die Sie nicht haben.« Carl hatte ruhig und sachlich klingen wollen – Routine in der sozialen Anpassung hatte dafür gesorgt, dass seine Körpersprache und Sprechweise nicht mehr gleich ›Konfrontation‹ signalisierten. Ansonsten jedoch erstaunte ihn die Erschöpfung in der eigenen Stimme. Er kam jäh zum Schluss: »Natürlich ist das für Sie nicht sinnvoll. Sie haben keine Karte, wo sich dieser Knabe gegenwärtig aufhält.«
    Stille im schwach erleuchteten Konferenzraum. Er spürte Ertekins Blick auf sich liegen wie eine Berührung und sah auf seine Hände hinab.
    »Sie haben gesagt, außer der hier hat er zwanzig weitere umgebracht.«
    »Siebzehn bestätigte«, konterte Norton. »Spuren genetischen Materials am Tatort gefunden. Bei weiteren vier sind wir uns nicht ganz so sicher. Das schließt nicht die Menschen ein, die er an Bord der Horkan’s Pride ermordet und gegessen hat.«
    »Yeah. Sie haben alles erfasst? Wo er gewesen ist?«
    Er schaute nicht auf, spürte jedoch wieder die Blicke zwischen den beiden hin- und hergehen.
    »Natürlich«, erwiderte Norton.
    Er betätigte das Dataslate, und das Bild von Toni Montes’ Blut verschwand. Stattdessen tauchte das strahlende Nordamerika auf, bestickt mit Highways und rot geschlitzt entlang der Schnittkanten der Rimstaaten und der Union. Die Karte war durchsetzt mit siebzehn schwarzen Quadraten und vier grauen, jedes versehen mit einem daumennagelgroßen Foto des Opfers. Carl stand auf und ging zur Wand, um sie sich näher anzusehen. Die Markierung von Angeline Freeport zeigte eine lachende Toni Montes, das Haar für irgendeine Party zurechtgemacht, in einem schulterfreien Kleid. Er berührte es sanft, und Einzelheiten rollten darunter ab. Mutter, Gattin, Immobilienmaklerin. Leiche.
    Er sah sich die anderen Bilder auf der Karte an. Sie waren sich größtenteils ähnlich, schlichte Schnappschüsse, eingefangenes Leben der Lebenden. In ein paar Fällen war das Bild ein ID-Holodruck, zumeist jedoch war es ein Lächeln und Zusammenkneifen der Augen für die Kamera, dicht daneben abgeschnitten, um Familienmitglieder oder Freunde zu entfernen. Die herabschauenden Gesichter waren eine Mischung aus Rassen und wiesen eine gewisse Altersspannbreite auf, angefangen von etwa Mitte dreißig bis hinauf zu einem alten Mann Ende sechzig. Verheiratet, unverheiratet, mit Kindern, ohne Kinder. Arbeitsbereiche vom Datensystemspezialisten bis hin zum Handwerker.
    Sie hatten nichts gemeinsam außer dem Kontinent, auf dem sie lebten, und der Tatsache, dass sie tot waren.
    Er kehrte zur Westküste zurück. Norton tat etwas auf dem Dataslate, und oben auf der Übersichtskarte trat eine Karte des Bay-Gebiets hervor. Die Absturzstelle der Horkan’s Pride war mit einem eigenen, nicht maßstabsgetreuen Viereck knapp vor der Küste markiert, daneben standen elf Gesichter und Namen übereinander. Dann folgten drei weitere rote Quadrate um San Francisco und Oakland herum. Carl starrte sie einen Augenblick lang an, sich auf irgendeiner Ebene bewusst, dass etwas nicht Gestalt annahm. Er runzelte die Stirn, berührte und las die herabscrollenden Daten.
    Sah die Daten.
    »Ja, das stimmt.« Ertekin stellte sich hinter ihn. Jäh roch er sie. »Er ist zurückgekehrt. Zwei Morde, am gleichen Tag, als die Horkan’s Pride auf dem Wasser aufschlug. Dann ist er über die Grenze in die Republik verschwunden. Nächster Halt Van Horn, Texas, 19. Juni. Eddie Tanaka, erschossen vor einem Puff auf der Interstate 10. Und dann wieder im Bay-Gebiet, fast vier Monate später, 2. Oktober. Was sagt Ihnen das?«
    »Er hat seine Brieftasche vergessen?«
    »Oh, vielen Dank! Ich wusste, dass es einen Grund gab, weshalb wir

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