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Skorpion

Skorpion

Titel: Skorpion Kostenlos Bücher Online Lesen
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Tor der Einrichtung, während links von ihnen eine weißhaarige Gestalt im Anzug etwas hinter einem tragbaren Kunststoffpodium verkündete. Ein paar amateurhafte, hastig hingekritzelte Holoplakate schwebten über der Menge. Tropfen sowie einige wenige altmodische IC-Fahrzeuge parkten entlang der Zufahrtsstraße, und Menschen lehnten allein oder zu zweit an ihren Flanken. Das frühmorgendliche Sonnenlicht glitzerte und blitzte auf Glas und legierten Oberflächen. Ein paar Helikopter tanzten am Himmel, ihrem Aussehen nach zu urteilen waren es Medienplattformen.
    Es sah nicht nach viel aus, aber sie waren hier gut zweihundert Meter vom Tor entfernt, der Lärm war schwach, und Einzelheiten ließen sich schwer erkennen. Sevgi hatte mehrere Male als Streifenbeamtin eine Menge in Schach gehalten, und sie hatte gelernt, keine voreiligen Urteile über Situationen zu fallen, die mit Menschenmassen zu tun hatten. Sie wusste, wie rasch die Stimmung kippen konnte.
    »… hat vielleicht die Gestalt eines Menschen, aber lasst euch nicht vom Äußeren täuschen!« Die Worte sprudelten aus dem Lautsprechersystem des Podiums, immer noch relativ wenig hysterisch. Wer der Prediger auch sein mochte, er baute die Sache langsam auf. »Der Mensch ist als Ebenbild Gottes gemacht. Diese… Kreatur wurde von arroganten Sündern geformt, die den Samen Gottes zerschmetterten, den dieser uns in seiner Weisheit schenkte. Die Bibel sagt uns…«
    Sie schaltete ab. Sah mit zusammengekniffenen Augen zu einem der Helikopter auf, der gerade abkippte.
    »Kein Anzeichen der Staatspolizei?«, fragte sie den Ausguck auf dem Turm.
    Er schüttelte den Kopf. »Sie erscheinen auf der Bildfläche, wenn diese Clowns da einen Angriff auf das Tor starten, vorher nicht. Und dann auch nur, weil sie wissen, dass wir befugt sind, von tödlichen Waffen Gebrauch zu machen, wenn sie irgendwo durchbrechen.«
    Sein Gesicht war ausdruckslos, aber der sauertöpfische Tonfall, der in seinen Worten mitschwang, war unverkennbar. Das Schildchen auf seiner Brust wies ihn als Kim aus, aber Sevgi vermutete, dass man als koreanischer Amerikaner den Chinesen für eine allgemeine Bitterkeit nahe genug stand, um eine gemeinsame Wurzel zu finden. Damals, vor der Sezession, war der Mob, vom Zhang-Fieber ergriffen, nicht allzu wählerisch beim Lynchen gewesen.
    »Ich bezweifle, dass es so weit kommt.« Sie täuschte eine heitere Zuversicht vor. »Sie werden uns noch vor dem Mittag los sein. Anschließend gehen die alle nach Hause.«
    »Gut zu wissen.«
    Sie ließ ihn stehen, wie er über die Verteidigungsanlagen von COLIN hinaus auf die Menge starrte, und stieg das vergitterte Treppenhaus hinab. Rings umher herrschte unheilvolles Schweigen in der Einrichtung, ganz im Gegensatz zu dem Lärm draußen. Sie hatten Operationen am Orbitalturm während der Krise hintangestellt, und die Vorratshangars waren samt und sonders geschlossen. Zehn Meter breite Frachter mit Raupenketten hockten reglos auf den Evercrete-Vorfeldern und Zufahrtswegen wie massive, skalpierte Panzer, die am Ende irgendeines gewaltigen urbanen Konflikts verlassen worden waren. Ihre quadratischen Hubplattformen waren leer.
    Am anderen Ende des Komplexes stieg der Turm hinauf in die Wolkendecke wie die Feuerleiter eines riesigen Gottes. Gemessen hieran wirkte alles Übrige am Boden wie ein Spielzeug. Perez war sehr früh errichtet worden, damals, als der Mars immer noch eine kaum angekratzte Wüste und Bradbury eine Ansammlung von Druckausgleichskabinen gewesen war. Jetzt wirkte er abgenutzt und schäbig, von einem fleckigen Grau und Schwarz und mit einer überalterten Stützstruktur. Im Vergleich zu dem fröhlichen, farbenfrohen Minimalismus in Sagan oder Kaku war Perez ein Relikt. Selbst für Sevgi, die Türme sowieso nicht mochte, gleich, welche verdammte Farbe sie aufzuweisen hatten, war es ein melancholischer Anblick.
    »Je da oben gewesen?«
    Sie schaute sich um und sah, dass Marsalis unbemerkt bis auf zwei Meter an sie herangetreten war. Jetzt stand er da und beobachtete sie mit einem ausdruckslosen und abschätzenden Blick, der sie dermaßen an Ethan erinnerte, dass es ihr eiskalt den Rücken hinunterlief.
    »Da oben noch nicht, nein.« Sie nickte unbestimmt nach Norden. »Ich erhielt meine Ausbildung in New York. Größtenteils am Kaku-Turm. Ich bin auch auf dem Sagan und Hawking gewesen und was sie vom Levin gebaut haben.«
    »Das hört sich nicht allzu begeistert an.«
    »Nein.«
    Was ihm ein Lächeln entlockte.

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