Skorpione im eigenen Saft
des Generalissimus zu der Überzeugung gelangt war, dass es kein bisschen gefährlich sei. So hätte er ein Auge auf mich, und ich könnte außerdem meiner Mutter ein wenig Geld nach Hause bringen.
Da an Gesinnung und Loyalität meines Vaters nicht im Geringsten gezweifelt wurde und die Polizei nichts von meinen heimlichen Sympathien wusste, gingen der Chef der Leibgarde und Franco persönlich auf den Vorschlag ein.
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1962 war der Diktator siebzig geworden. Im Jahr davor war bei einem Jagdunfall sein Gewehr explodiert (viele dachten, dass es in Wirklichkeit ein Attentat war); seine linke Hand war dabei schwer verletzt worden, und er konnte sie nicht mehr richtig bewegen. Im selben Jahr sah er sich einem langen Lohnstreik der Industriearbeiter ge genüber, vor allem in Asturien und dem Baskenland, der den endgültigen Niedergang der franquistischen Gewerkschaften einleitete. Außerdem hielten ihn Umtriebe gegen das Regime in Atem, die als Münchner Abkommen bekannt geworden und in Wirklichkeit ziemlich harmlos waren; lediglich ein schüchternes Klopfen an Europas Toren.
Ich begegnete dem Diktator zum ersten Mal im Palastgarten von Ayete. Er war ein unsympathischer alter Mann, ein Wicht mit einem Schildkrötengesicht und einer lächerlichen Kastratenstimme.
Er war ganz vertieft in seine neue Leidenschaft, die Malerei. Er hatte sich darauf kapriziert, Stilleben in Öl zu malen. Es waren nichts sagende Gemälde ohne jeden Reiz; nicht einmal auf dem Madrider Trödelmarkt wäre man sie losgeworden.
An diesem Tag malte er eine Ananas, einen Salatkopf, ein Rinderkotelett, ein halbes Rundbrot, ein Jagdmesser und eine Kupferschüssel. Die einzelnen Gegenstände, die vor ihm lagen, waren in einer zweifelhaften Harmonie angeordnet.
Er wollte gerade einen ungenießbaren Tee zu sich nehmen, den mein Vater eine Stunde vorher probiert hatte, und dazu drei Kekse (selbstverständlich angeknabbert). Während der Tee auf einem Spirituskocher an Ort und Stelle auf einem Beistelltisch aufgewärmt wurde, wechselte er ein paar Worte mit mir, die einzigen, die er während der kurzen Zeit, in der ich seine Speisen vorkostete, direkt an mich richtete. Ich habe sie folgendermaßen in Erinnerung:
» Das ist also Ihr Sohn, Astigarraga … Lerne von deinem Vater, mein Junge; immer zuhören und schwei gen … , schön den Mund halten … , außer natürlich, wenn es um die Arbeit geht … Wie sollte man sie sonst auch bewerkstelligen … – entweder er amüsierte sich über seinen idiotischen Einfall oder er musste plötzlich husten. Spanien kann man auf viele Arten dienen, und diese ist genauso wichtig und bedeutsam wie andere auch … Die Freimaurerei ruht nicht einmal an Feiertagen … «
Das war ’ s.
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O nkel Patxi, der mich in das Umfeld der antifranquistischen Aktivisten eingeführt hatte, war auf die Idee gekommen, meine Stellvertretertätigkeit als Vorkoster zu nutzen, um ein Attentat auf Franco zu verüben. Wie viele andere glaubte ich damals, dass wir sowohl gegen Francos Faschismus als auch für die Befreiung des Baskenlandes kämpften.
Jahre später, als ich bereits in dem Alter war, in dem man weiß, dass es Gott nicht gibt, dass alles eine Lüge ist und dass ein Armer nur Seehecht isst, wenn entweder der Arme oder der Seehecht schlecht ist, musste ich feststellen, dass es egal war, wer die Macht innehatte: ETA kämpfte und kämpft noch immer mit Gewalt und Erpressung gegen Spanien und gegen alles, was nicht Teil von ihr und ihrer Mörderbande ist. Das einzige Ziel ist, die Organisation am Leben zu erhalten.
Allerdings möchte ich vorausschicken, dass nichts davon mich zu meinen Taten bewogen hat. Mein Rachefeldzug gegen verschiedene Personen über einen Zeitraum von fünfundzwanzig Jahren geschah aus rein persönlichen Gründen, die ich im Folgenden schildern möchte.
I ch konnte ein Frösteln nicht unterdrücken und musste an die gut geölte Pistole in dem Schuhkarton und die Sammlung gefährlicher Messer denken, deren Besitz sich angesichts dieser düsteren Andeutungen als so gar nicht harmlos erwies.
Außerdem fiel mir ein, dass er auf dem Nachttisch den Roman Der Graf von Monte Cristo liegen hatte, desse n Hauptfigur, Edmond Dant è s, sein Le b en und Schicksal ebenfalls der Rache an denen verschreibt, die ihn zu Unrecht ins Gefängn is werfen ließen.
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Franco aß mittags und abends fast immer in Ayete. Dort fing ich übrigens an, mich für das Kochen zu interessieren. Ich verbrachte viel Zeit in
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