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Skorpionin: Odenwal - Thriller (German Edition)

Skorpionin: Odenwal - Thriller (German Edition)

Titel: Skorpionin: Odenwal - Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Krämer
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Ecke ihres Bewusstseins verstecken. Vielleicht. Aber beim geringsten Anlass würde die Kugel sich aufblähen, ihren Kopf ausfüllen und sie wieder schreiend aus dem Schlaf jagen. Ein Leben lang.
    Gernot Marks wachte niemals nachts auf. Schreiend schon gar nicht. Er würde nach Ablauf der Strafe durch den türmchenbewachten, neugotischen Eingang der JVA spazieren und an der Bushaltestelle die jungen Mädchen der Herzogenriedschule anlächeln. Sie würden sich kichernd abwenden und ihm ihre süßen Ärsche zeigen.
    Gernot freute sich darauf. Er tauchte den Pinsel in einen Klecks grüner Farbe und schattierte eine zu hell geratene Tanne am Ufer des einsamen Bergsees. Dahinter lugte das Dach einer Blockhütte hervor. Eine dünne Rauchfahne stieg senkrecht in den etwas zu kitschig geratenen Abendhimmel. Ein Dutzend der durchaus ansehnlichen Landschaftsbilder hingen bereits an den Wänden von Haftraum B 31. Mit doppelseitigem Klebeband fixiert, denn Nägel galten als potenzielle Waffe. Gernot Marks malte seit zwei Jahren. Der Anstaltspsychologe hatte ihn dazu ermuntert und ihm sogar eines abgekauft. Eine nebelverhangene Moorlandschaft. Die tief geduckte Torfstecherhütte, kaum erkennbar hinter wucherndem Gestrüpp im fahlen Zwielicht. Romantisch, stimmungsvoll, wenn auch der Stil etwas kindlich Naives aufwies. Marks malte ausschließlich einsame Landschaften, die von einer bedrückenden Leere geprägt waren. Die zarten, weißen Körper, die in den Hütten gefesselt auf den Betten lagen, sah nur der Maler. Die Anstaltsleitung und das Wachpersonal bescheinigten Marks eine hervorragende Führung und erwähnten die Kunst des Gefangenen gerne als Produkt moderner Resozialisierungsmethoden: Schaut ihn euch an, die Bestie vom Neckartal - ein Schöpfer wunderschöner, friedvoller Gemälde. Ein ruhiger, freundlicher Mensch. Fügsam, sanftmütig und höflich. Niemand öffnete jemals eine Tür von einer der kleinen, Geborgenheit ausstrahlenden Hütten.
    Draußen auf dem Gang ratterte der Wagen mit der Post. Vor fast jeder Zelle hielt der Karren und der Schließer schob Briefe oder kleine Päckchen durch die Klappe in der Tür.
    Die JVA Mannheim war ein altes Gefängnis. Ein richtiger Knast mit Gittern, genieteten Stahltüren und eisernen Laufgängen. Der kleine Bürowagen rasselte näher, die Klappen quietschten und der Schließer murmelte manchmal eine Bemerkung oder einen Gruß. Vor Haftraum B 31 hatte er schon lange nicht mehr gehalten. Am Anfang erhielt Marks öfter Sendungen von der Staatsanwaltschaft, seinem Anwalt oder von Versicherungen und Ämtern, die eine Bestätigung brauchten, damit alles seine Ordnung hatte. Bitte ankreuzen: Ich bin tot, ich bin untergetaucht, ich sitze im Knast. Datum, Unterschrift. Irgendwann versiegte auch dieses letzte Rinnsal hinaus in die Freiheit.
    Achselzuckend widmete sich der Gefangene wieder seinem Bild, als die Klappe scheppernd aufging und ein Kuvert auf den Boden segelte. Ohne Gruß, ohne Bemerkung. Sicher hatte der Schließer Kinder.
    Fassungslos starrte Marks auf den Brief. Er war weiß. Nicht blau wie die Behördenpost oder braun wie Formulare. Er hob ihn auf. Die Adresse war handgeschrieben. Eine gestochen klare, steile Schrift. Als er den Absender las, sank er auf die Pritsche und schnappte nach Luft. Die Adresse verschwand fast unter dem Prüfstempel der Anstaltspoststelle: Geöffnet und geprüft. Status: unbedenklich. JVA Mannheim Poststelle. Das Einzige, das Marks noch ohne Schwierigkeiten entziffern konnte, war der Name. Ein Name, bei dem Bilder aus fernen Zeiten in seinem Kopf aufleuchteten. Rasch wechselnde, flackernde Szenen, als hämmere ein besessener Zapper auf seiner Fernbedienung herum.
    Die Prüfstelle machte sich nicht die Mühe, die Post wieder zu verschließen. Mit fliegenden Fingern zerrte Marks den Brief heraus, faltete ihn auseinander und brauchte einige Minuten, bis die Buchstaben sich beruhigten.
    Lieber Gernot
,
    Nie hatte sie ihn Gerry genannt. Immer Gernot. Allerdings hörte sich sein Name aus ihrem Mund immer gut an. Nicht so hart mit zischendem T am Ende, wie ihn seine Mutter immer ausgesprochen hatte. Rollendes R, peitschendes T. „Gerrrnott“, ein Name, den man spucken konnte. Magdalena Marks spuckte ihn oft. Wenn er ungezogen war, wenn er ins Bett gemacht hatte, wenn sie die Flecken in seiner Bettdecke entdeckte. Sie hasste es, wenn ihn jemand Gerry nannte. „Gerry wohnt hier nicht“ spuckte sie Freunden und Mitschülern entgegen, wenn diese nach ihm

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