Skorpionin: Odenwal - Thriller (German Edition)
auch in Lumpen Respekt einfordern würde. Ihre Züge wirkten entspannt. Glimm bemerkte, dass sie Sommersprossen hatte. Der Ansatz ihrer Haare zeigte Spuren von Rot. Rot. Eine Hexe. Auf den Scheiterhaufen mit ihr!
Verdammt. Er würde sich glatt mit anbinden lassen. Was für eine Frau. Was für ein … Weib! Ein Idiot, wer sich Anna-Sophia Barlow zum Feind machte. Ein toter Mann. Nicht nur das. Ein teuflisches Kunstwerk, fixiert zwischen rohen Pfosten, gehalten von Ketten. Das Leben herausgepladdert in den zischenden Schnee. Hrrrrm!
Glimm räusperte sich mehrmals, während die Augen der Barlow belustigt auf ihm ruhten.
Belustigt! Das traf es genau. Im Anwaltszimmer einer Haftanstalt saß diese Frau, gegen die der Staatsanwalt wegen vorsätzlichem Mord mit dem Merkmal der besonderen Grausamkeit sowie versuchtem Mord ermittelte und wirkte, als hätte sie gerade einen köstlichen Witz gehört.
„Frau Barlow, ich …“
„Anna.“
„Als Sie mir das letzte Mal das Du anboten, haben Sie wenig später auf mich geschossen. Lassen Sie uns zunächst die Form wahren, ich halte das für gesünder.“
Was laberte er da bloß für einen Scheiß?
„Nun gut, Herr Anwalt, ich werde dies respektieren. Sollten Sie es sich doch noch anders überlegen, würde es mich freuen.“
Brodelnde Leidenschaft hinter dürren Worten. In einer anderen Umgebung und unter anderen Umständen wäre er wahrscheinlich innerhalb der nächsten Viertelstunde über sie hergefallen.
Genug fantasiert. Er war ihr Verteidiger. An ihm würde es liegen, ob Anna-Sophia Barlow im Knast verrotten, oder mit einem blauen Auge davonkommen würde. Ein blaues Auge, was immer noch einige Jahre bedeutete. Fünf bis zehn, hatte er sich ausgerechnet. Fünf bei einem Royal flush, heißt: der richtige Richter, der richtige Staatsanwalt und eine Presse, die sich auf ihre Seite schlug. Im Augenblick sah es leider nur nach einem mageren Pärchen aus. Pokerface!
Er würde seine ganze Kunst benötigen, um diese Karre aus dem Dreck zu ziehen. Alle Tricks, die cleveren, die ausgebufften und ganz besonders die dreckigen. Doch zunächst musste er aus dieser kaltblütigen, grausamen Killerin eine Heilige machen. Nicht mehr und nicht weniger.
Er holte einen Schriftsatz aus dem Koffer, setzte sich seine Lesebrille auf, was ihm etwas verschmitzt Onkelhaftes verlieh, und überflog sein Konzept.
„Frau Barlow, Sie werden beschuldigt, Herrn Gernot Marks, ihren ehemaligen Lebensgefährten und rechtskräftig verurteilten Kinderschänder mittels einer … Hrrrrmm … äh, besonderen Art und Weise vom Leben zum Tod befördert zu haben …“
„Einspruch, Euer Ehren!“ Sie war in der Lage, die rechte Augenbraue in schwindelnde Höhen zu ziehen, ohne dass der Rest ihres Gesichtes zu einer Grimasse wurde. Erstaunlich.
„Es war niemals meine Absicht ihn zu töten. Ich habe ihn angebunden und ihm seinen Schwanz mit Salz eingerieben. Das Einzige, das einen harmlosen Pflanzenfresser wie die europäische Hausziege dazu bringen kann, sich überhaupt für dieses Ding zu interessieren. Ich konnte ja nicht ahnen …“
„Frau Barlow“, übergangslos verwandelte sich Stephan Glimm in einen knallharten Strafverteidiger. „Die Ziege wurde veterinärmedizinisch untersucht. Magen und restliche Organe wiesen eindeutige Spuren von Unterernährung auf. Muskulatur und allgemeiner Zustand: jämmerlich. Das Tier wurde systematisch ausgehungert. Einzig und allein zu dem Zweck, Ihr Opfer zu zerfleischen. Ziegen sind nicht wählerisch. In ihren Mägen hat man schon Cola-Dosen, Tetrapacks und Reifenteile gefunden. Hören Sie also besser auf, mir solchen Mist zu erzählen und bleiben Sie bei der Wahrheit. Sie hatten vor Marks, zu töten, und es sollte auf eine Art und Weise sein, die ihm zeigte, wie seine Opfer leiden mussten.“
„Die Ziege hat ihm einen geblasen bis zum Zwerchfell.“
„Schon besser. Ich bin Ihr Anwalt. Ich habe vor, aus Ihnen eine Heilige zu machen. Eine Art Urmutter, die für ihr Kind auch tötet. Das archaische Recht aller Mütter. Das kann ich nur, wenn wir Klartext reden. Warum haben Sie daneben geschossen?“
Glimm weidete sich an Ihrer Reaktion. Er hatte sie angefahren wie ein Lastwagen. Ihre Augen flackerten, die Mundwinkel zuckten, die langen Finger krochen auf der fleckigen Tischplatte herum wie eigenständige kleine Wesen.
„Ich …“, ihre Stimme wurde zu einem heiseren Flüstern. „Ich … ich konnte es nicht. Ich konnte dich nicht töten. Ich hatte es vor.
Weitere Kostenlose Bücher