Skorpionin: Odenwal - Thriller (German Edition)
Hatte geplant, dich umzubringen …“ Sie brach ab und Glimm betrachtete das tränennasse, zerfurchte Gesicht, das plötzlich jedes einzelne gelebte Jahr verriet, als wäre eine Maske gefallen. Merkwürdigerweise war es genau dieses Gesicht, das ihn so unwiderstehlich anzog. Er begriff, was sich hinter der Fassade der unnahbaren, herrschsüchtigen Milliardärin verbarg. Eine Frau. Verletzlich wie ein kleines Kind, mit Sehnsüchten, die nicht mit Dollars, Yen oder Euro zu erfüllen waren. Eine unsichere, verängstigte, gedemütigte und verzweifelte Frau.
Er liebte sie. Er würde für sie kämpfen bis an sein Lebensende. Die imaginäre Rotationsmaschine in seinem Kopf erwachte klickend und rumpelnd zum Leben. Druckte kiloweise Dokumente aus, um Anna-Sophia Barlow zu entlasten. Gernot Marks war der Teufel. Er allein! Er hatte dieser Frau alles genommen. Zuerst den Mann. Sensationell! Ein Mord, niemals aufgeklärt! Er würde vor Gericht das Tuch von dieser Tat reißen wie ein Magier vor ausverkauftem Haus. Er würde den perfiden Plan des Gernot Marks in allen Einzelheiten schildern. Der Krückstock würde Löcher ins Parkett stanzen. Die Presse! Er würde mit einigen guten Freunden sprechen. Die würden die Sau raus lassen. Auf sein Kommando! Der Fund der Tagebücher! Er würde daraus zitieren, bis auch der letzte Wachtmeister in Tränen ausgebrochen wäre. Der Mann: perfide und minutiös ermordet. Die Frau: eingelullt, betört, verführt, verraten. Die Tochter: über Jahre missbraucht, abhängig gemacht, eingeschüchtert, zerbrochen und in den Tod getrieben.
Wahrhaftig: Anna-Sophia Barlow hatte der Welt einen großen Dienst erwiesen, als sie Gernot Marks das Licht hat ausblasen lassen, von Hannah, der Hausziege.
Die Hauptverhandlung vor dem Landgericht Mosbach war für Dienstag, den 10. März anberaumt worden.
Bereits am Tag zuvor belagerten die Fahrzeuge großer Fernsehsender die Hauptstraße und den Lohrtalweg rund um das schmucke ehemalige Kloster. Betroffen blickende Moderatoren erklärten der Welt, dass hier in der historischen Fachwerkstadt an Elz und Neckar der „Schlächterin von Waltham-House“ der Prozess gemacht werden würde.
Ihr Anwalt, der schillernde Mannheimer Strafverteidiger Stephan Glimm, hatte es sogar auf die Titelseite der BILD geschafft. Die Layouter des Magazins hatten ein dunkles, an alte Kinoplakate erinnerndes Motiv geschaffen, das die Barlow mit arrogantem Lächeln zeigte, während die diabolisch grinsenden Züge von Glimm im Hintergrund wie aus finsterer Nacht auftauchend dargestellt wurden.
„ DER ADVOKAT DER TEUFELIN “ lautete die Schlagzeile darunter. Etwas dezenter verfuhr der SPIEGEL, der ein seriöses Porträt des Juristen auf dem Umschlag platzierte und die Titelstory „Ich verteidige meine Mörderin“ nannte. Beides war Glimm nur recht. Brachte es ihm doch wieder jede Menge Publicity und einen Ansturm neuer Mandanten.
Die Taten der Barlow spalteten die Nation. Einerseits gab es Stimmen, die Verständnis oder gar Sympathie äußerten, die jedem, der ein Kind auch nur finster anschaute, ein ähnliches Schicksal wünschten und für die Verteidiger von Kinderschändern gleich mit in den Sack gesteckt gehörten. Mittelalterliche Hängt-ihn-auf-Parolen, Rufe nach der Todesstrafe, dem Pranger und allgemeine Verherrlichung von Lynchjustiz feierten fröhliche Urstände. Anna-Sophia Barlow wurde als Übermutter und Heilige verklärt und manch selbsternannter Gerechtigkeitsprediger nannte sie ein Werkzeug des Herrn.
Die andere Seite sah in ihr eine Bestie, sexsüchtig, blutgierig, zerfressen von Gier und - das war wohl das Schlimmste -unermesslich reich. Schlagt ihr den Kopf ab, an den Galgen mit ihr, in der Hölle soll sie schmoren. Alle zusammen wurden von den Medien, ganz gleich ob Nachrichtenmagazin, Boulevard- oder Regenbogenpresse, Radio, TV oder www umfassend und in Technicolor-Breitwand versorgt.
Omas unter Trockenhauben lasen mit wohligem Schaudern über das Schicksal des bösen Herrn Marks, Arbeiter strichen in der Frühstückspause die Seiten der Zeitung glatt und ärgerten sich über die schlechte Druckqualität der Fotos vom Tatort, welche die verwaisten Pfosten und die Flecken im Schnee zeigten. Ziegen jedweder Art mussten als Beispielporträt posieren und in Tiergärten wurden die bisher eher als langweilig empfundenen Tiere ehrfürchtig als blutrünstige Menschenfresser bestaunt.
Ein Heer von angeblich Sachverständigen dozierte in immer wiederkehrenden
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