Slant
zellartigen Körper werden immer dünner, bis sie sich in nichts auflösen, bleiben dabei aber stets im grünen und blauen Bereich. Winzige rote Punkte erscheinen wie ein Hautausschlag auf der Oberfläche, während dunkelrote Stellen in den Zellen pulsieren, aber nach kurzer Zeit wieder verschwinden. Eine kleine Anzeige in der rechten oberen Ecke seines Sichtfeldes zählt die verstreichende Zeit, Tag für Tag.
Die Wirkung ist hypnotisch. Martin spürt für einen Moment den verblüffenden Ruck, wie eine gelöste Kupplung, als sich sein analytischer Verstand mit der Darstellung verbindet und er das generelle Prinzip versteht. Die Darstellung ist auf die autopoietischen Lernmethoden paralleler und verknüpfter neuraler Netze angelegt, insbesondere auf INDAs, menschliche Bewusstseine und vermutlich auch Denker. Wenn er sich genügend Zeit nehmen würde, könnte er wirklich alles geistig erfassen, was dargestellt ist. Er empfindet brennenden Neid auf die Leute, die dieses Werkzeug zur Verfügung haben, das er nur für einen kurzen Zeitraum nutzen darf. So vieles ließe sich lösen, so vieles vorhersehen!
Es ist durchaus mit einer Reise in ein menschliches Bewusstsein zu vergleichen, denn diese Landschaft ist ähnlich strukturiert wie die traumartigen Landschaften des Geistes. Insbesondere die außergewöhnlichen Mandalas, die das Bewusstsein benutzt, um seine Gesundheit und Funktionalität zu korrelieren. Er ist in kindlicher Ehrfurcht erstarrt. Das Leben und die Leistungen von Millionen ziehen an ihm vorbei: Geburt und Tod, das Auf und Ab der Kulturen, Trends und Moden, Arbeit und Karriere, Liebe und Freundschaft, Konkurrenz und Zusammenarbeit, das Spektrum sozialen Fehlverhaltens einschließlich der Kriminalität und kulturellen Unterdrückung…
Jetzt bricht überall der rote Ausschlag aus. Martin blickt auf die Zeitanzeige. Sie befinden sich nun eine Woche vor der Gegenwart. Die zellartigen Körper werden so bunt wie Meeresschnecken und manche strahlen wie heiße Glut, auf der sich ausgebrannte schwarze Flecken ausbreiten und zu aschfarbenen Flächen verkrusten. Es ist wie ein Feuer in einem Traumdschungel, in dem Zweige und Äste aufflammen und Blätter in Hitze und unsichtbarer Glut verdorren.
»Jetzt werden wir extrapolieren und zwei Jahre in die Zukunft reisen.« Carrilunds Stimme ist wie das Quietschen eines Schweins in einer Symphonie und versetzt ihm einen Stoß. Die Zeitanzeige rast. Er dreht den Kopf und sieht, wie die Grün-, Blau- und Cremetöne von Rot gehetzt werden. Der Wald zappelt und schlittert, als wollte er flüchten, und wird versengt und dann verbrannt.
Martin treibt am Ende der zwei Jahre in einer trostlosen Landschaft aus Asche. Nur noch wenige grüne Pünktchen sind zu erkennen, bis auch diese erlöschen.
Das Grau weicht der Dunkelheit, wie Asche, die von Regen befeuchtet wird.
»Genug«, sagt Carrilund. Die blaue Leere und der vielfarbige Nebel kehren zurück, jedoch zu abrupt für Martin, um sich wieder in einen würdevollen Zustand zu versetzen. Er lehnt sich auf dem Sitz zurück; seine Wangen sind feucht. Auch Carrilund ist bewegt. Sie reicht ihm ein Taschentuch und in ihrem Ausdruck sieht er etwas, das nicht mehr so kühl, sondern mitfühlender ist, als sie ihn beobachtet, wie er sich die Augen trocknet.
»Ich weiß nicht, was ich sagen soll«, gesteht Martin ihr.
»Ich habe es jetzt schon zum dritten Mal gesehen, aber ich weiß auch nicht, was ich sagen soll.«
»Ist die gesamte Kultur erkrankt – liegt sie im Sterben?«
»Wir haben diesen Raum auf zwanzig oder dreißig unterschiedliche Arten extrapoliert, aber das Ergebnis ist jedes Mal dasselbe.«
»Etwas verbrennt die Menschen. In unserem Geist wütet ein Brand«, sagt Martin.
»Ich bin erleichtert, dass Sie es genauso sehen«, sagt Carrilund. Ihre Stimme klingt plötzlich so zerbrechlich. »Ich denke oft, dass jemand meinen Kindern weh tut. Ich stelle mir unsere Klienten oft so vor… Ich habe keine eigenen Kinder.«
Sie wendet sich ab, verlegen, weil sie so viel von sich offenbart hat, aber dadurch erhält Martin die Gelegenheit, sich wieder zu fassen.
»Es ist ein Krieg. Ich weiß nur nicht, was für ein Krieg«, sagt Carrilund. »Ich würde gerne erfahren, wer oder was ihn ausgelöst hat.«
»Ich würde Ihnen gerne helfen, wenn es mir erlaubt ist«, bietet Martin ihr an.
»Wir können jede Hilfe gebrauchen, die wir bekommen«, sagt Carrilund. »Sie haben die Patente für die meisten therapeutischen Monitoren. Wer
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