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Slant

Slant

Titel: Slant Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Bear
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Martin sucht zwei Einträge aus. Das erste Beispiel ist ein Flach-Vid, das einen gut gekleideten Mann Anfang Dreißig zeigt, der an einer Straßenecke steht. Er schreit Passanten an und konzentriert sich mit heftigen Beleidigungen auf die wenigen Transformierten. Der Zwischenfall wurde von einem kleinen fliegenden Nachrichten-Sniffer aufgezeichnet, der den Mann langsam umkreist.
    Martin fällt die etwas schräge Kopfhaltung des Mannes und sein leichtes, beständiges und selbstsicheres Lächeln auf. Er scheint der Meinung zu sein, dass sein Verhalten nicht nur amüsant, sondern auch wohltätig ist. Er wirkt überrascht und pikiert, als ein großer Schwarzer in Begleitung einer kleinen, zierlichen Transformierten ihn mit erhobener Faust bedroht und anbrüllt.
    »Dieser Klient wurde mit zweiundzwanzig, also vor dreizehn Jahren, wegen eines geringfügigen thymischen Ungleichgewichts therapiert«, sagt Carrilund. »Depressive Neigungen und Essstörungen.«
    »Diese Probleme hat er überwunden«, stellt Martin fest. »Zweites Vid.«
    Dieses Vid, ebenfalls von einem Sniffer, zeigt eine kleine Frau mittleren Alters – etwa in seinem Alter, schätzt Martin – in einem Einkaufszentrum in einem größeren Turm. Sie hat ihr Kleid hochgezogen und masturbiert. Ihr entzückter Gesichtsausdruck erinnert an ein kleines Mädchen, das ihren Freundinnen eine nette Überraschung präsentiert. Zwei weibliche Sicherheitswächter der Mall nehmen sie an den Armen, dann ist das Vid zu Ende.
    »Vor zehn Jahren wegen Agoraphobie therapiert«, erklärt Carrilund. Martin seufzt.
    Als wieder die Liste erscheint, lässt Martin sie verschwinden. Er wendet sich Carrilund zu.
    »Diese Verbindung von öffentlichem Fehlverhalten, beleidigenden Äußerungen und untypischem Rassismus ist sehr interessant. Ungefilterte antisoziale Anwandlungen. All das könnte mit Störungen im Tourette-Organon zusammenhängen.«
    »Daran haben wir noch nicht gedacht«, sagt sie.
    Gut. Vielleicht kann ich mich schließlich doch noch als nützlich erweisen.
    »Ich kenne solche Symptome aus meiner Studienzeit. Sie wissen, was es mit dem Tourette-Organon auf sich hat?«
    »Ich weiß nur, dass es intensiv erforscht wurde«, sagt Carrilund. »Ansonsten bin ich nicht auf dem neuesten Stand.«
    »Das ursprüngliche Syndrom wurde von einem Franzosen entdeckt, Georges Gilles de la Tourette. Es ist charakterisiert durch unwillkürliche Tics und Bewegungen und Koprolalie – die unkontrollierte sprachliche Äußerung von Obszönitäten, Beschimpfungen mit Metaphern aus dem Fäkalbereich. Im Jahr 2013 erweiterte ein anderer Franzose namens Francois Gormier den Begriff, um die Aktionen eines Kontinuums von Gehirnfunktionen im limbischen System zu beschreiben. Er bezeichnete es als das >Teufelchen der Perversion<. Er glaubte, dass ein großer Teil des Gehirns auf Impulse dieser Teufelchen angewiesen ist, um ein hohes Niveau der Phantasie zu wahren und das Ich zu beschützen. Skepsis, Zweifel, soziale Verteidigungsmechanismen, selbst bestimmte Körperbewegungen, die Ekel und Widerwillen ausdrücken, all das hat seinen Ursprung im Tourette-Organon.
    Ein Kind entwickelt Filter, die die meisten dieser teuflischen Impulse abschirmen, aber wer unter dem Tourette-Syndrom leidet, hat größere Löcher im Filter, die sporadische Ausbrüche ermöglichen.«
    »Haben Sie bei Ihren Mentalreisen solche Phänomene gesehen?«, fragt Carrilund. Martin zuckt bei dieser Frage leicht zusammen.
    »Ja.«
    »Entschuldigung, ich wollte Ihnen nicht zu nahe treten.«
    »Kein Problem. Meine damalige Frau und ich haben mehrere Artikel über das Thema geschrieben.«
    »Der Dämon, mit dem Sie ein ungenannter Patient bekannt machte.«
    »Sie scheinen die Einzelheiten bereits zu kennen«, erwidert Martin trocken.
    »Nur Ihre Veröffentlichungen. Wie war es?«
    »Nun, durch den Transfer wurde keineswegs ein tatsächlicher Dämon oder auch nur ein Aspekt der Persönlichkeit des Patienten übertragen. Wir gingen davon aus, dass traumatische Erfahrungen gewisse Agenten und Sub-Agenten innerhalb unseres Geistes anregen… die den Charakter einer gefährlichen Sub-Persönlichkeit annehmen konnten.«
    »Handelte es sich um Emanuel Goldsmith?«, fragt Carrilund leise.
    Martin errötet und seine Hände verkrampfen sich um die Sitzfläche. Er gibt keine Antwort.
    »Tut mir Leid«, sagt Carrilund und wendet den Blick ab.
    »Unsere eigenen Probleme rührten von…« – er ist immer noch verärgert, aber er gibt sich Mühe,

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