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Slant

Slant

Titel: Slant Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Bear
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die Fassung zu wahren – »…von unserem Tourette-Organon her, das den Charakter dieser Sub-Persönlichkeit annahm. Ein schlechter Einfluss sozusagen.«
    Carrilund sieht ihn wieder an. »In meiner Jugend hatte ich eine irritierende Stimme im Kopf, eine kleine Persönlichkeit. Es war ein Landstreicher, ein verlauster, zerlumpter Mann mit hagerem, schmutzigem Gesicht, ein Schwachsinniger. Er hockte die ganze Zeit in meinem Hinterkopf und sagte: >Gib mir etwas von dem alten Smoky Joe!< Er sagte es immer wieder, mit großem Nachdruck. Es war keineswegs ein ernsthaftes Problem – nur ein Bild, das mir nicht aus dem Kopf ging, wie eine blöde Melodie, die man ständig hört. Würden Sie so etwas als Manifestation meines Tourette-Organons klassifizieren?«
    »Möglicherweise«, sagt Martin. Plötzlich fühlt er sich sehr müde.
    »Mr. Burke, ich muss mich entschuldigen. Aber ich habe den Eindruck, dass sie persönliche Erfahrungen mit dem haben, was einige unserer Klienten durchmachen. Wenn etwas ihre mentale Architektur zerstört, sie schutzlos ihren alten Dämonen ausliefert, dann müssten gerade Sie es gut verstehen können.«
    Martin kann ihr immer noch nicht in die Augen sehen.
    »Möchten Sie noch ein Stück weiter gehen?«, fragt sie.
    »Entschuldigung… wie bitte?« Er ist von diesem Angebot verwirrt, er denkt an etwas ganz anderes, an ihre Attraktivität. Am liebsten möchte er sich aus dem Staub machen, aber hier geht es um sein professionelles Ansehen.
    »Das nächste Niveau unseres Beobachtungszentrums ist recht bemerkenswert«, sagt sie.
    »Ja, natürlich.« Er hebt die Hand und winkt. »Gehen wir.«
    Die blaue Leere und das atonale Summen kehren zurück.
    »Wir werden jetzt in einen Pickover-Raum eintreten«, sagt Carrilund. »Zwölf Variablen, die zu vier Dimensionen kondensiert sind. Die Zustandsvektoren hat man durch Lunde-Gleichungen vereinigt.«
    Martin hört kaum, was sie sagt. Die blaue Leere trübt sich abrupt, und er hat die Empfindung hoher Geschwindigkeit. Schatten huschen durch den Nebel; er kennt sich ein wenig mit diesem Darstellungsmodus aus. Er hat einmal einen Pickover-Raum gesampelt, als er grafische Interfaces für mentale Patienten-Stats ausprobiert hat. Sie liegen an der Grenze zur Realität, im raunenden Potenzial aller möglichen Bereiche der zwölf Variablen. INDA-Träume, denkt er.
    Plötzlich werden sie in ein Gitter aus riesigen verzerrten Zellformen geworfen, deren Membranen in kristallinen Details sichtbar sind, während das strömende Innenleben auf unendliche Dichten deutet. Die Formen scheinen länger als dick zu sein und bilden gemeinsam das Netzgitter, wie die Maschen eines Korbs aus der Perspektive einer Mikrobe. Doch mit dem Wechsel ihres Blickwinkels verändert sich auch die scheinbare Länge jeder Zelle.
    Im Pickover-Raum wird die Orientierung des Betrachters in den drei Dimensionen als Notwendigkeit zur Kompression und Verknüpfung neuer Mengen von Variablen interpretiert, wodurch die Bereiche verschoben und die Resultate nahtlos angepasst werden. Daran kann er sich noch erinnern, obwohl es schon sehr lange her ist, seit er ein solches Interface benutzt hat.
    »Das ist der gesamte Nordwesten aus der Perspektive von Workers Inc.«, sagt Carrilund. Ihre Stimme klingt sehr fern. »Nur menschliche Stats, die psychologische, kulturelle und ökonomische Bedingungen reflektieren, während sich die Effizienz des Datenflusses und der mentalen Vitalität im Geldfluss reflektiert, die als Macht behandelt wird, Befehle zu erteilen und Arbeit erledigen zu lassen.«
    »Ich verstehe«, sagt Martin überwältigt von den funkelnden Oberflächen und schwindelerregenden Verschiebungen, die schon durch die leichteste Kopfbewegung ausgelöst werden.
    »Blaue, grüne und cremefarbene Töne bezeichnen Variationen, die innerhalb der als gesund definierten Parameter liegen. Mit rot und dunkelrot sind problematische Zonen markiert. Die schwarzen und grauen Bereiche bezeichnen wir als Abzesse oder Regionen schwerer Instabilität, die zur Aushöhlung der betreffenden Variablen führen – Belastungen der Ökonomie und in Folge auch der Gesellschaft.«
    »Ich vermute, wir befinden uns am Anfang einer Zeitperiode«, sagt Martin.
    »Richtig. Lassen Sie uns durch den vergangenen Monat reisen.«
    Die >Reise< geht nicht durch das Gitter hindurch – wie Fische durch Seetang –, sondern die Zellen strömen um sie herum, als würde sich der Seetang in einer sanften Brandung wiegen. Einige der

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