Slant
gab keinen vernünftigen Grund für sie, so etwas zu tun, außer dass sie meinte, sich eine neue Lebensperspektive suchen zu müssen.
Und vielleicht dachte sie sogar, er hätte etwas Besseres verdient. Er war ein wirklich netter Kerl.
Sie erhebt sich von der Toilette, während ihr Urin fortgespült wird. »Entschuldigen Sie«, sagt die Toilette. »Aber Sie sollten Ihren Arzt konsultieren…«
Alice schlägt die Tür zu und steht mit klopfendem Herzen vor der Kabine.
»Ist das nicht furchtbar?«, schimpft eine Frau mit Ahorn- und Eichenmuster auf der Haut, die aus der benachbarten Kabine kommt. Beide Toiletten sagen weiterhin ihre verrückten Warnungen auf. »Sie machen das jetzt überall!«
Als sie aus dem Bad geflüchtet ist, fragt sich Alice, wie viel von all dem sie ignorieren kann, ohne schreien zu müssen. Twist rauscht vorbei, im Arm des am seltsamsten aussehenden Mannes, den Alice bislang auf dieser Party bemerkt hat. Er ist über zwei Meter groß und wie Popeye gebaut: schwere, mit Haar bedeckte Unterarme, unglaublich breite Schultern und eine Bananennase, dazu Augen wie die eines Nasenaffen. Twist scheint in Ekstase. Er ist anders als andere, und es ist keineswegs ihre Art, sich gänzlich neuen Erfahrungen zu verweigern.
Alice fragt sich, wie gut Popeye-Typen ausgestattet sein mögen. Sie erschaudert.
Schließlich hat sie das Ende des Hauses erreicht, hinter dem sich ein langer grüner Rasen erstreckt, auf dem sich winterharte Palmen und Beete mit blauen Iris und Veilchen verteilen. Der Gartenzaun besteht aus Ziegelsteinen und ist über sechs Meter hoch. In der Mauer befinden sich in unregelmäßigen Abständen Vid-Monitoren, die das Partygeschehen samt kleinen Extras wiedergeben: Riesen, Dinosaurier, Anime-Ausschnitte, Kid-Vid-Figuren, die alle von schwebenden Icons begleitet werden, die auf ihre gegenwärtigen Lizenzinhaber hinweisen. (Alice erinnert sich an das (PLV) -Zeichen auf Marilyns Kleid…)
Es ist typisch Jakey, dass all dies sehr offensichtlich und aufdringlich ist, wie Wurstfleisch, das jeder mag, auch wenn er weiß, was drin ist, und aus diesem Grund können die meisten Gäste zumindest so tun, als hätten sie Spaß. Die Party bietet alles, was sie erwarten, ein exzellentes Top-Spek, eine schinke Illu, oder wie immer die Spin-Ansager es im Spam-Trade nennen mögen.
Das Brennen macht ihr allmählich Sorgen. Doch sie ist zäh, sie kann unter sechs unangenehmen Gefühlen leiden und immer noch ein freundliches Gesicht machen. Aber sie hatte auf etwas gehofft, das ihren Geist ablenkt, ein Body-Space-Nirvana, einen Himmelsraum, aber überall ist wieder nur das Glühen und Glitzern des Unterhaltungsgeschäfts.
Richard Thompson hat es irgendwie auf die hintere Veranda verschlagen, wo er sich mit Billie Holiday unterhält. Alice geht an ihnen vorbei. Holiday nickt ihr zu, als würden sie sich kennen. Dann setzen die zwei Projektionen ihr Gespräch fort. Alice fragt sich, ob man in hundert Jahren auch sie rekonstruieren und auf irgendeiner Party auftreten lassen wird. Aber vielleicht gibt es in hundert Jahren gar keine Parties mehr.
Vielleicht liegen dann alle in kalten Särgen und werden mit Yox vollgepumpt, auf immer und ewig.
Sie hat nach Tim gesucht, ohne dass es ihr bewusst war, und da ist er, auf dem Rasen, wo er mit drei anderen Männern zusammen steht. Sie tragen graue Geschäftslongsuits mit Fächerkragen und unterarmlangen Manschetten, die wie Sahnetorten aufgebauscht sind. Tim hat sich einen Bart wachsen lassen, und Alice versucht zu beurteilen, ob er ihm steht. Er dreht sich halb herum, sucht nach neuen Gesichtern und entdeckt sie. Und wendet sich ab.
Alice wird plötzlich warm, und sie berührt ihr Gesicht, um die Hand sofort wieder zurückzuziehen. Ihre Kiefermuskeln sind hart wie Stein, sie blickt sich erneut nach dem Apoll um und ballt die Hände zu Fäusten, bis sie schmerzhaft die Fingernägel spürt. Für Tim Shandy gibt es keinen denkbaren Grund, warum er ihr Beachtung schenken sollte. Er ist im Top-Spin, und sie ist es nicht; er arbeitet im großen Unterhaltungsbusiness und sie gehört nicht zu den Menschen, die er braucht.
Nachdem sie Tim und der Gruppe den Rücken zugekehrt hat, entdeckt sie vor der Wand etwas, das sehr merkwürdig aussieht, wie eine Kleiderpuppe, die in metallisches Tuch gehüllt ist. Dann erkennt sie, dass es sich um ein tragbares Simulakrum handelt, dessen Projektoren abgeschaltet sind oder gerade neu geladen werden. Sie betrachtet das Ding,
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