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Slant

Slant

Titel: Slant Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Bear
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Wänden verborgen.
    Ein einfacher gewundener Pfad führt durch den Raum, aus nacktem Beton und kaum einen Fuß breit. Er schlängelt sich um die Hügel herum und reicht vielleicht – so hofft er – bis zur Tür auf der gegenüberliegenden Seite.
    Ihm bleibt keine Zeit mehr, sich einen anderen Weg zu suchen.
    Er macht den ersten Schritt und horcht. Die Geräuschkulisse besteht aus einem kontinuierlichen Summen und dem flüsternden Rascheln von Chitin. Die Wespen umschwirren ihn, aber sie landen nicht und verhalten sich nicht aggressiv. Allerdings sind sie überall. Wenn er kräftig Luft holen würde, könnte er ein paar der Stechinsekten in Mund oder Nase oder in seine Lungen saugen.
    Er ist klitschnass. Schweiß tropft ihm vom Gesicht und läuft ihm den Rücken hinunter.
    Vielleicht ist das hier nur ein fehlgeschlagenes Experiment. Vielleicht hält sich Seefa die Insekten nur zum Schutz. Für diese Aufgabe sind sie zweifellos gut geeignet, aber es sind keine leicht reizbaren, angriffslustigen Monster, so wie Killerbienen.
    Nathan schätzt – er hofft, wäre wohl das bessere Wort –, dass er den Raum bereits zur Hälfte durchquert hat. Er kann ein schwaches gelbliches Leuchten erkennen, das von den Ameisenhügeln zurückgeworfen wird, die wie Stalagmiten in einer Tropfsteinhöhle bis zur Decke hinaufreichen. Zaghaft geht er über den freien Weg um die Hügel herum. Als eine Wespe gegen seine Wange prallt, weicht er vor Schreck seitwärts aus. Einen furchtbaren Augenblick lang glaubt er, das Gleichgewicht zu verlieren und in die Ameisen zu stürzen, aber er kann sich durch rudernde Armbewegungen abfangen.
    Die Wespe sticht nicht, die Insekten bleiben ruhig. Beherrscht.
    Sind sie beherrscht oder werden sie beherrscht? Menschen haben seit sechzig oder siebzig Jahren auf unterschiedliche Weise mit Bienen und anderen sozialen Insekten kommuniziert. Die Bienendressur ist eine etablierte wissenschaftliche Anwendung in der Landwirtschaft. Vielleicht hat Seefa gelernt, bestimmte Arten von sozialen Insekten zu beherrschen, was ihre höchste Errungenschaft darstellt.
    Doch während sich seine Augen besser an die Lichtverhältnisse anpassen, sieht er, dass ihm die Nester, die Ameisenpfade und sogar die Flugbahnen der Wespen und die Anordnung ihrer Papiernester auf unheimliche Weise vertraut vorkommen. Keine Schaltkreise, so simpel ist es nicht, aber die Muster entsprechen den Prinzipien der Theorie neuronaler Netze. Nicht zufällig und natürlich, sondern geplant, auf eine Weise, die jedem Studenten des Denker-Designs vertraut ist.
    Die Prinzipien der Selbstordnung, der Kooperation und der Vernetzung.
    Ein Kontrollprinzip, das nur von der verrückten, altmodischen und unkontrollierten Cipher Snow entworfen werden konnte, wie er sich sagt.
    Jetzt sieht er das Licht hinter den Hügeln. Es ist eine weitere Tür, beziehungsweise ein Fenster in einer Tür, die jedoch verschlossen ist. Er kann nicht erkennen, was sich dahinter befindet. Dort ist es nur wenig heller als hier im Raum der Insekten.
    Nicht einmal jetzt kann Nathan sich zu der Einsicht durchringen, dass er Roddy bereits gefunden hat, dass all dies zum kindlichen und gefährlichen Denker gehört, der Jill schachmatt gesetzt hat.
    Der Türgriff ist dankenswerterweise frei von Insekten. Langsam drückt er die Tür auf. Dahinter liegt ein glasverkleidetes Zimmer, das mit einem mindestens zehn Jahre alten Mitsu-Shin-Terminal und einem Drehstuhl für den Programmierer ausgestattet ist. Er kennt diesen Stuhl, es war Seefas Lieblingsstuhl, auf dem sie schon bei Mind Design gearbeitet hat. Bedruckte Plastikaufkleber mit Blümchen und Kätzchen verzieren die Rückenlehne.
    Langsam und lautlos schließt sich die Tür. Die Insekten bleiben in ihrem Raum.
    Durch die Glaswände blickt Nathan auf einen großen Garten. Er beobachtet, wie über dem Garten konzentrische Lichtringe aufleuchten, bis es sonnenhell wird. Er legt geblendet eine Hand über die Augen.
    »Seefa?«, ruft er.
    Stille.
    Er nähert sich dem Glas. Der Garten erstreckt sich über eine Fläche mit einer Seitenlänge von schätzungsweise dreißig Metern. Er ist von hüfthohen Wänden umgeben, hinter denen er undeutlich eine größere Halle erkennt, die außerhalb des künstlichen Tageslichts liegt.
    Eine Schwingtür führt durch die Glaswand nach draußen. Nathan tritt in eine Atmosphäre, die nach feuchter Erde und üppiger Vegetation riecht. Erbsensträucher, die sich an langen Reihen von Spalieren emporranken.

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