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Slant

Slant

Titel: Slant Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Bear
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Schnee niemals begegnet. Er erinnert sich noch gut an den Abend kurz vor dem Ende ihrer kurzen Beziehung, als Seefa mehrere qualvolle Stunden lang mit ihm diskutierte und seine erhitzten Einwände zu widerlegen versuchte, wie sich Insektenstaaten für gezielte neurale Zwecke verwenden lassen. Er kann sich nicht zu der Überzeugung durchringen, dass sie Erfolg gehabt haben könnte, denn in diesem Fall müsste er sich einer Menge unangenehmer Konsequenzen stellen, müsste seine Einschätzung ihrer Fähigkeiten revidieren, wozu er nicht bereit ist. Seefa Schnee hat sich in intellektuellen Konflikten niemals siegreich durchsetzen können.
    Doch all das spielt keine Rolle, wenn er sich auf den Grund für sein Hiersein konzentriert. Nicht um dem FBI zu helfen, nicht einmal um seinem Land in einer Notlage zu dienen, sondern um das Gefängnis zu finden, in das Jill verschleppt wurde, und sie mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln zu befreien.
    Jill ist möglicherweise der sympathischste Intellekt, den er während seines zweiunddreißig Jahre währenden Lebens kennengelernt hat. Nathan ist mehr als nur ein wenig in sie verliebt; es ist eine engelhafte, platonische Liebe, frei von allen körperlichen Konnotationen, obwohl er schon mehrere unrealisierbare Träume hatte…
    Natürlich hat er Ayesha niemals davon erzählt.
    Er steckt sein Pad in die Tasche. Von nun an ist der Lageplan sinnlos.
    Er ist wieder auf sterbende Insekten angewiesen.
    Jeder, der auch nur halbwegs bei Verstand ist, kann sehen, dass Torino völlig Recht hat, sagte Schnee an jenem bedeutungsvollen und anstrengenden Abend. Die Natur ist ein mentaler Komplex. Jede Spezies besetzt ihre eigene neurale Nische, sammelt Informationen und fixiert sie in Form von Wissen. Und Wissen ist Anatomie, der kontinuierlich existierende Körper der Spezies…
    Für Seefa stellt jede Biene eines Staates die offensichtliche Entsprechung eines Neurons dar, auch wenn ein biologisches Individuum zu wesentlich komplexeren neuralen Urteilen und Bewegungen imstande ist. Ein Knoten im Netzwerk des Bienenstocks und gleichzeitig ein Muskel. Und inwieweit unterscheidet sich ein Bienenstock als Ganzes betrachtet von dir oder mir oder irgendeinem anderen Tier, abgesehen von ausgesprochen sozialen Tieren? Das soziale Gefüge ist eine Art Überbewusstsein, ist in das Bewusstsein der Spezies eingebettet. Das ist so offensichtlich, dass es schon wieder trivial ist.
    Nathan stimmte stillschweigend zu, dass es trivial war. Und gleichzeitig völlig falsch. Er hat sich nie genauer mit Torinos Arbeit auseinander gesetzt und Seefas Ideen kamen ihm noch viel abwegiger vor.
    Er beugt sich über eine schwarz-gelb gestreifte Wespe. Der Hinterleib pulsiert schwach, während das Tier über den Boden kriecht und heimzukehren versucht.
    Das Problem mit unserer Vorstellung eines Bewusstseins liegt darin, dass wir unsere Art von Ichbewusstsein mit dem Denken im Allgemeinen verwechseln. Ichbewusstsein ist ein Attribut bestimmter Arten von sozialen Tieren. Warum sollte ein denkender Geist notwendigerweise Ichbewusstsein besitzen? Es genügt völlig, ein Weltbewusstsein zu besitzen. Wenn es nicht in sozialen Beziehungen zu anderen geistigen Individuen steht, benötigt es keine sozialen Filter oder Persönlichkeitsmodelle. Es agiert und erhält sich aus eigener Kraft. Es lernt, urteilt und handelt. Ein Weltbewusstsein ist Gott einen Schritt näher als du oder ich.
    Er versucht, sein eigenes Ichbewusstsein zu beurteilen, das von Jill, Ayesha, seinen Freunden und seiner Familie. Im Augenblick sind ihm Theorien und bewusstseinslose Wissenschaften scheißegal. Intellektuelle Spielereien können ihm nicht helfen, seine Courage zu bewahren.
    Vor ihm befindet sich ein halb geöffnetes stählernes Schott. Aus dem Raum dahinter hört er ein leises und eindringliches Summen, das die Stille des Korridors durchdringt.
    Nathan holt tief Luft, hält den Atem an und lugt durch die Tür, während er sich darauf gefasst macht, im nächsten Augenblick zu sterben.
    Im Raum hinter dem Schott ist es warm und trocken, nicht völlig finster, aber fast. Langsam gewöhnen sich seine Augen an das Dämmerlicht. Er wagt es nicht, seine Taschenlampe einzuschalten.
    Die Wände sind mit unförmigen Klumpen bedeckt: mit Wespennestern. Auf dem Boden wimmelt es vor großen schwarzen und roten Ameisen, die sich zielstrebig zwischen hohen Erdhügeln hin und her bewegen. Er kann keine Bienenstöcke erkennen; vielleicht sind sie in den

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