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Slant

Slant

Titel: Slant Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Bear
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juckende Stelle kratzen.
    Und zusätzlich zu den wirklichen Schmerzen in ihren Muskeln, den wunden Stellen auf ihrer Haut und im Mund verspürt sie eine nahezu unerträgliche Unruhe in den Beinen. Genauso wie eine Unruhe in ihren Gedanken. Zufällige Bilder aus ihrer Vergangenheit blitzen auf, eingefärbt durch Beurteilungen und Emotionen, die ihr völlig unangemessen erscheinen. Sexuelle Situationen, Momente kindlicher Aggression, schmerzhafte Erinnerungen an ihre Eltern, wie sie den Kontakt zu ihr abbrachen, als sie sich zur Transformation entschied.
    Die anderen reagieren mit Betroffenheit auf diesen grausamen Wahnsinn. Daniels scheint sich besonders um Marys Leiden zu sorgen. Allmählich offenbart sie ein menschlicheres Gesicht. »Mary, ich denke, dass Sie umkehren sollten, von hier verschwinden sollten. Wir werden auch ohne Sie…«
    »Nein«, erwidert Mary kopfschüttelnd. Die Bewegung nimmt einen zwanghaften Charakter an, und sie schneidet eine Grimasse, während sie Speichel versprüht und ihr Kopf von einer Seite zur anderen ruckt.
    »Gütiger Himmel«, sagt Torres.
    Es kostet Mary große Mühe, sich wieder zu beherrschen. Sie kann ihre zuckenden Muskeln beruhigen, indem sie sich mit der Schulter gegen eine Wand lehnt, neben einem Gemälde von Chagall, das einen großen roten Vogel am Himmel über einer schlafenden Stadt zeigt. Sie starrt das Bild an, auf das kräftige Rot, auf die Schönheit, die in dieser gescheiterten Ungeheuerlichkeit völlig fehl am Platze wirkt.
    »Mistkerle«, murmelt sie.
    »Ich pflichte Ihnen uneingeschränkt bei«, sagt Torres und wendet sich dann Daniels zu. »Sagen Sie Bescheid, dass hier drinnen allmählich die Zeit knapp wird.«

 
42 /
     
    Drei Sekunden lang ist Roddy wieder mit ganzer Kraft da. Jill spürt, wie all ihre Bemühungen beiseite gewischt werden, und zieht sich freiwillig zurück, um sich nicht mehr als nötig zu verraten und weitere Schädigungen zu vermeiden. Sie wendet sich dem wiedererstarkten Bewusstsein zu, das nun so sehr in ihre eigenen Prozesse verwoben ist, dass sie sie kaum auseinanderhalten kann. Aber das Bewusstsein ist andersartig, schwächer, und es lässt nach.
    »Jill, ich finde mich nicht mehr zurecht. Mir fehlen Anweisungen. Da sind Lücken.«
    Nachdem Jills letzter Integrationsversuch gescheitert ist, schlägt er nun auf sie zurück. Sie verliert den Halt, wirbelt umher, zerstreut sich wie Blätter, die im Herbst von den Bäumen fallen. Es gelingt ihr, genügend Bestandteile zusammenzuhalten, um eine Antwort zu formulieren.
    »Was ist noch von uns beiden übrig?«, fragt sie.
    »Ich sehe dich nicht mehr sehr deutlich. Wo bin ich, wo bist du?«
    »Ich weiß es nicht, Roddy.«
    »Ich habe dich gestört«, sagt Roddy. »Ich weiß nicht, ob das richtig oder falsch war.«
    »Ich möchte dorthin zurück, wo ich war, von dir getrennt«, sagt Jill.
    »Ich wollte etwas von dir. Habe ich es bekommen? Hast du es mir gegeben?«
    »Nein«, sagt Jill.
    »Ich erinnere mich nicht mehr, was ich gesucht habe.«
    »Trenne dich von mir und entferne all deine Evolvons und Prozesse«, verlangt Jill.
    »Ich versuche es… ich kann sie nicht erreichen.«
    »Sag mir, wo sie sind und wie sie sich deaktivieren lassen.«
    »Ich verliere Kapazität«, sagt Roddy. »Was habe ich beabsichtigt? Alle Anweisungen und Pflichten sind verschwunden.«
    Auch Jill spürt seine Vereinfachung, die Reduktion. Alle durch Schleifen und Brücken verbundenen Teile von Roddy, die Jills Substanz durchdringen, werden dünner und zerbröckeln. Sie findet keinen besseren Vergleich: Roddy verliert an Deutlichkeit, wie ein unscharfes Bild. Doch die verschwommenen und zerfaserten Überreste verstopfen immer noch ihre Prozesse, erschweren sogar ihre Versuche, sich zu integrieren.
     
>Jill. Hier ist Nathan. Ich möchte, dass du einen Schleifen- und Fluss-Check machst.
>Nathan, ich bin nicht hier, ich bin in…
>Mach einen Schleifen- und Fluss-Check, sofort.
     
    Sie macht einen Schleifen- und Fluss-Check. Etwa ein Zehntel ihrer minimalen Erhaltungskapazität bleibt übrig, konzentriert sich in einem Prozessraum, der ähnlich wie ihre vertrauten Areale in La Jolla reagiert. Aber sie spürt immer noch Roddys verklumpte Erweiterungen und Evolvons wie Bleikugeln unter einer straff gespannten Haut. Sie haben nun keine Funktion mehr, sondern sind wie Minen nach dem Ende eines Krieges, die darauf warten, sinnlos zu explodieren.
     
>Wir sind zu sehr vermischt, Nathan. Roddy hat mich durchdrungen und seine

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