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Slant

Slant

Titel: Slant Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Bear
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nicht exakt Folge geleistet, richtig?«, fragt Jonathan, als er sich an Marcus’ Bemerkung erinnert, dass einige Dinge vorzeitig geschehen sind.
    Schnees Lippen runzeln sich wieder, dann zuckt ihr Arm. Mit dem Ausdruck der Erleichterung gestattet sie sich, dem unterdrückten Impuls nachzugeben und die Hand an die Lippen zu legen. Sie küsst ihren Handrücken. Nach der Ausführung wirkt diese Geste völlig natürlich und überhaupt nicht ungewöhnlich für sie. »Ich hatte gewisse Freiheiten«, sagt sie.
    »Sie waren voreilig. Sie haben die Dinge zu früh in Bewegung gesetzt.« Jonathan spürt, wie in ihm die heiße Flamme der Phantasie auflodert, die parallel zu seinem Zorn brennt. »Ich repräsentiere den Vorstand. Sie haben versagt.« Jonathan bezweifelt, dass die Vorstandsmitglieder jemals persönlich Schnees Wirkungsstätte aufgesucht haben. Das wäre bestimmt unter ihrer Würde gewesen.
    »Sie lügen«, sagt Schnee misstrauisch.
    »Sie… und Roddy… waren zu lange von der Außenwelt abgeschnitten. Sie haben jedes Gefühl für Verantwortung verloren.«
    Das scheint Schnee in Rage zu bringen. »Wie können Sie es wagen, so etwas zu mir zu sagen! Sie wissen genau, was Sie von mir verlangt haben!«
    »Sie sollten die Krücken zerstören und all die Krüppel, die gesellschaftlichen Außenseiter, die Schwächlinge und Unfähigen zu Fall bringen. Alle auf einmal.«
    Schnee mustert ihn mit großen, faszinierten Augen, als wäre er eine Schlange. Erneut küsst sie ihren Handrücken, mit dem sie sich dann über das Kinn reibt.
    »Was ist mit Ihnen?«, fragt Jonathan. »Haben Sie sich selbst davon ausgenommen?«
    »Meine Gebrechen sind intendiert«, sagt sie. Sie reckt die Schultern, doch sie sacken sofort wieder zusammen, und ihr Kopf dreht sich ruckhaft zur Seite. »Ich habe meinen eigenen Geist manipuliert, um an vorderster Front zu bleiben. Ich habe sämtliche Kreativitätszentren stimuliert, das gesamt Tourette-Kontinuum. Es hat funktioniert. Ich habe Leistungen vollbracht, die auch in den nächsten fünfzig Jahren niemand wird nachvollziehen können. Und ich habe den Anweisungen des Vorstands etwas hinzugefügt.« Die Andeutung eines Lächelns. »Eine humanitäre Geste. Ich habe bewirkt, dass jetzt jeder ein wenig intelligenter wird. Ich habe meinen Vorteil an alle weitergegeben. Betrachten Sie es als meine persönliche Note.«
    Jonathan ist sehr still und leise geworden. Er hat keine Schwierigkeiten mit der Vorstellung, sie zu töten. Zuerst sie, dann Marcus. Dann alle anderen, einen nach dem anderen, alle Aristos.
    »Sie haben bei allen das Tourette-Syndrom ausgelöst«, sagt Jonathan ruhig. »Nur um zu zeigen, dass es Ihr Werk ist.«
    »Ähnlich wie Tourette, aber etwas anders. Subtile Ungleichgewichte. Eine leichte Verschiebung in den Rezeptoren. Um das Teufelchen der Perversion loszulassen. Alle werden ein wenig schneller und etwas ungewöhnlicher denken. Plötzlich werden sie Gedanken und Impulse, die sie normalerweise ignorieren, in die Tat umsetzen. Kreative Impulse… Und sie werden die besonderen Verhaltensweisen wie ein Markenzeichen tragen.«
    »Wie Sie. Ihr Markenzeichen.« Jonathan nähert sich langsam, Schritt für Schritt. Schnee durchquert den Raum mit schnellen, hallenden Schritten und öffnet eine Tür auf der anderen Seite.
    »Wie ich«, sagt sie. »Ich bin weder blind noch unmenschlich, ganz gleich, was Sie über mich denken mögen. Sie, der Vorstand – Sie sind die Monster. Sie haben den Triumph nicht verdient. Also habe ich mich bemüht, Ihre Pläne zu durchkreuzen. Ganz einfach.« Ihre Augen werden glasig. »Buh fi fa schi kick fi.«
    Sie schließt die Tür, als sie den Raum verlässt, aber die Tür hat keine Verriegelung.
    Jonathan öffnet die Tür und tritt in den angrenzenden Raum, der sehr groß, hoch und hell erleuchtet ist.
    Jonathan lässt die Tür zufallen. Schnee zieht sich einen dicken Overall, Gummistiefel und einen Imkerhut über. Hinter ihr erhebt sich vielleicht dreißig Meter hoch ein Gebäude innerhalb des Gebäudes. Fünf offene Etagen hängen an Trossen, die in den Wänden und der Decke der größeren Halle verankert sind. Kabel verlaufen über den Boden bis zum ersten Stockwerk. Alle Etagen sind über den hüfthohen Wänden offen. Jonathan riecht Wasser, Erde und etwas Modriges, Urtümliches. Es ist nicht der Hefeduft von Nano, sondern etwas Angenehmes und aus uralten Zeiten Vertrautes.
    Der Geruch fruchtbaren Erdbodens, ein großer, sonnenbeschienener Garten, eine

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