Slant
Neurales«, erklärt Jonathan. Er beobachtet, wie Hiram mit den Fingern auf der Anrichte trommelt, während er darauf wartet, dass das Tablett mit dem Essen zubereitet und erwärmt wird.
Chloe fragt sich, ob Jonathan seinen Sohn wirklich liebt, ob Männer überhaupt die Fähigkeit zur innigen Liebe besitzen, die sie so häufig verspürt und die ihr so wenig anerkannt und erwidert wird. Aber schließlich…
Woher kam das?
»Das klingt aufregend«, sagt Chloe.
Jonathan brummt in amüsierter Zustimmung. »High-Comb. Gute Beziehungen.«
Jonathan fühlt sich in letzter Zeit im Trott gefangen, aber Chloe hält nicht viel vom High-Comb und hat auch kein großes Verständnis für seine Ambitionen. Chloe hält den Atem an, als Hiram beinahe sein Tablett mit dem warmen Essen fallen lässt. Jonathan ermahnt ihn laut, er solle besser Acht geben. »Du zappelst ständig herum!«, sagt er zu seinem Sohn, der den Kopf schräg hält und das Tablett in einem gefährlichen Winkel balanciert. »Mein Gott, du bist nicht mehr fünf Jahre alt!«
Chloe hasst Jonathans Tonfall, in dem er die Kinder zurechtweist. Seine Stimme schneidet sie wie zerbrochenes Glas. Er ist so pingelig mit ihnen; schon der winzigste Anlass regt ihn auf, und er dehnt seine Standpauken minutenlang aus, viel länger, als sie für notwendig erachtet. Sie vermutet, dass sie viel zu empfindsam ist – manchmal klingt sie in ihren eigenen Ohren schrill und grob – aber…
Jonathan greift nach Hirams Tablett und richtet es waagerecht aus.
»Nichts verschüttet, nichts versaut«, sagt Hiram mit unerschütterlicher Würde. Chloe empfindet eine plötzliche Traurigkeit, eine schmerzhafte Vorahnung der Schwierigkeiten, die das Leben für Hiram bereithalten wird. Und ich kann nichts dagegen tun. Er trägt das Tablett aus der Küche.
Jonathan verzieht das Gesicht, dreht sich zu ihr um und sagt: »Ich werde gegen zwölf wieder da sein.«
Männer können ihre lauten Stimmen so mühelos abschalten, von einem Augenblick auf den anderen von kriegerischem Zorn auf Sanftheit umschalten. Chloe kann das nicht. Wenn sie Hiram angeschrien hätte, würde sie noch eine halbe Stunde lang rotieren, nachdem sie in die entsprechende Stimmung versetzt wurde. Und natürlich ist Chloe bewusst, dass sie die Kinder und insbesondere Hiram viel zu oft anschreit. Doch das ist nur eine Frage der Intensität – und eine Frage der Wahrnehmung.
Frauen können einfach besser mit Kindern umgehen. Davon ist sie überzeugt. Wenn sie die Kinder völlig ohne Jonathans Hilfe aufgezogen hätte, wären zumindest einige Probleme vermeidbar gewesen…
»Erfolgreiche Jagd«, wünscht sie ihm. So viele kleine Ärgernisse an diesem Abend, die sich summieren, was ihr überhaupt nicht gefällt. Sie hofft, dass Jonathan bald geht und sich die Kinder in ihre Winkel verkriechen, bevor etwas aus ihr herausplatzt, das sie anschließend bereut.
Nur noch ein paar Minuten, dann ist es gut. Nur einen Moment ganz allein, damit sie die Augen schließen und ein- bis zweimal durchatmen kann, ohne dass irgendwer irgendwas von ihr erwartet. Für sie gibt es fast keinen Raum, der ausschließlich ihr gehört.
In ihrer Familie wurde sie in der generationenlangen Tradition erzogen, dass beide Eltern arbeiten, um den Kindern ein Beispiel für Leistung und Belohnung zu geben, und als Ausdruck der Gleichheit der Ehepartner. Jonathans Erziehung ist altmodischer und lässt selbst die Neo-Föderalisten als intelligente und innovative Bewegung erscheinen. Seine Familie hat ihn nach Kräften unterstützt, als er von Chloe verlangte, ihre Arbeit aufzugeben, als die Kinder kamen.
Aber warum muss sie ausgerechnet jetzt daran denken?
Weil ihr Mann zu einem wissenschaftlichen Vortrag geht, der auch für sie interessant sein könnte? Was kümmert es ihn, was sie denkt?
»Du kümmerst dich selbst um dein Abendessen?«, fragt Jonathan in pflichtschuldiger Besorgnis.
»Ich komme zurecht«, sagt sie. »Verspäte dich nicht. Du musst viele Männer in grauen Longsuits beeindrucken.«
Jonathan wirft ihr einen ironischen Blick zu, nimmt ihre Hand und küsst sie. Er beugt sich zurück, betrachtet ihr Gesicht, hebt die Augenbrauen – man könnte ihn für den männlichen Hauptdarsteller in einem Geschichtsvid der Neunziger halten. »Irgendjemand muss seine Seele opfern, sonst wird es niemals wahren Fortschritt geben«, sagt er mit seiner tiefsten Heldenstimme und mit einem perfekt imitierten Neuen Allgemeinen Medienakzent. Sie muss lachen.
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