Slant
ihrer Verzweiflung bereit war, die Beziehung zu Jonathan zu zementieren.
Dann die Hochzeit. Und dann die Kinder. Chloes widerstrebende Einwilligung in ihre Mutterrolle und die vorübergehende Mode, auf die Karriere zu verzichten und sich den Kindern zu widmen, die beide bequem ex utero geboren wurden, worauf seinerzeit selbst die Frauen aus den konservativsten Familien bestanden. Ihre erste Welle der Mutterinstinkt-Behandlung, auf die sie überreagierte, die sie in eine aggressive Löwenmutter verwandelte, die kaum zuließ, dass Jonathan Penelope berührte; schließlich die traumatischen Anpassungen an ein zweites Kind. All das haben sie überlebt, hat ihre Ehe überstanden, in der ihr Interesse aneinander nahezu unvermindert bestehen blieb.
Jonathan verehrt sie. Vielleicht liegt es an ihren anfänglichen Schwierigkeiten, dass er Chloe für die begehrenswerteste Frau der ganzen Welt hält.
Doch in den letzten Jahren hat sich Chloe immer mehr verschlossen. Jonathan kann es nicht an einem bestimmten Verhalten festmachen, sondern höchstens an generellen Verhaltensweisen, die sich genauso als Reife oder Erwachsenwerden beschreiben lassen, als unvermeidliches Nachlassen der Leidenschaft. Aber mit der gleichen Berechtigung könnte er sagen: Sie hat das Interesse verloren.
Im Fenster sieht er sein Spiegelbild: ein schmales Gesicht mit hoher Stirn, apart zurückweichendem schwarzem Haar, was seine kleine Nase und die tief liegenden schwarzen Augen und seine Lippen betont, die, wie er findet, immer noch jungenhaft und keineswegs resolut wirken. Er glaubt nicht, dass er so alt geworden ist und sich so sehr verändert hat, dass er nicht mehr attraktiv wäre, aber so fühlt er sich. Er denkt manchmal darüber nach, ob sich Chloes Interesse durch eine chirurgische Transformation – natürlich nur eine behutsame, denn mehr würden seine soziale Stellung und seine Arbeitgeber nicht erlauben – neu entfachen ließe. Oder ob sie sich auf noch experimentelleres Gebiet wagen und sich gegenseitig zu Sporadien ermutigen sollten. Viele tun das, insbesondere Frauen, die ihre Karriere aufgegeben haben.
Der Bus wird langsamer und sein Sitz vibriert leicht, um ihn darauf hinzuweisen, dass er seine Haltestelle erreicht hat. Er hebt seine kleine Reisetasche auf und tritt hinaus in die Nacht, die ihn mit einem Windstoß überrascht. Dicke Wolken wehen über die hohen Türme und Dächer der Villen und Multis.
Der nächste Tower liegt fünf Kilometer südlich, auf der anderen Seite der 5. Er kann ihn durch Lücken in der Wolkendecke erkennen; an den Seiten leuchten blaue Linien und rote Markierungsscheiben wie quadratische Augen in der Dunkelheit.
Sein Mantel weht ihm um die Beine, als er über eine Betonrampe zum Eingang hinaufgeht. St. Mark’s wurde seit dem späten Zwanzigsten nicht mehr renoviert und wirkt ein wenig düster und alt, obwohl die Kirche immer noch einen würdevollen und traditionellen Eindruck vermittelt. Genau der richtige Ort für die monatlichen Treffen der Stoiker. Die allesamt furchtbar langweilig und auf ihren eigenen Vorteil bedacht sind, sodass er sich nur selten darauf freut, sie wiederzusehen.
Chloe scheint an solchen Abenden noch verschlossener zu sein. Vielleicht hegt sie einen heimlichen Groll und stellt sich vor, im Strom des Business zu schwimmen, ein Teil des großen Flusses der Corridor-Wirtschaft zu sein… Was natürlich lächerlich ist. Jonathan hat seit Jahren keine bedeutsamen Fortschritte auf der Karriereleiter gemacht. Die wirtschaftlichen Unruhen von 2049 haben die meisten Gedumpften und sogar das Management auf ihren derzeitigen Status eingefroren.
An der Garderobe gibt er seinen Mantel bei einer ergrauten, rundgesichtigen und lächelnden Frau ab, dann spaziert er mit den Händen in den Taschen ins Mittelschiff. Die außen bemalten, hohen Buntglasfenster glühen phosphoreszierend, ein kühles nächtliches Meereslicht, das auf seltsame Weise tröstlich wirkt. Jonathan läuft den Gang bis zum Zentrum hinunter, wo ein großes graues Taufbecken auf einem steinernen Podest steht.
Das Querschiff verliert sich in der Dunkelheit. Dort halten sich keine Stoiker auf. Sie haben sich im Zentrum, in den Gängen und neben dem Taufbecken versammelt und fuhren leise Gespräche. Er sieht einige Bekannte, einige neue Rekruten, die ein Jahrzehnt jünger als er sind, und dann das graue Haar von Marcus Reilly, seinem Sponsor.
Marcus spricht in letzter Zeit nur noch selten mit Jonathan; seine Interessen decken
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