Slant
sich nicht mit Jonathans Arbeitsgebiet, dem Nährmitteldesign und -vertrieb. Marcus ist darum bemüht – wie Jonathan sich zu erinnern versucht –, seine bereits beträchtlichen Anteile an kalter Erzgewinnung in Utah auszubauen und die letzten Tonnen abbauwürdiger Erze aus Green Idaho herauszuquetschen.
Aber als Marcus ihn im Gang sieht, hebt er die Hand und lächelt freundlich. Er wird sein gegenwärtiges Gespräch in aller Höflichkeit beenden, so sagen seine Gesten, und in wenigen Minuten zu Jonathan kommen.
Jonathan wartet mit verschränkten Händen. Marcus ist einer der wenigen Männer aus seinem Bekanntenkreis, die ihn zum Schwitzen bringen können – und auf die er mit verschränkten Händen wartet.
»Jonathan! Wie geht es dir?«, fragt Marcus überschwänglich. Er zwängt sich mit ausgestrecktem Arm durch die Kirchenbänke. Sie schütteln sich die Hand, und Jonathan nimmt die nach oben gekrümmten Finger mit nach unten weisenden Fingerspitzen an. Marcus drückt energisch und lächelnd seine Hand. »Wie geht es Chloe? Und den Kindern?«
»Alles bestens. Und Beate?«
»Schlecht gelaunt. Sie kann es nicht mehr ertragen, wenn ich im Haus bin. Sie verbringt ihre gesamte Zeit damit, mit Chemie-Optionen zu zocken und den Markt durcheinander zu bringen. Aber sie hat ihren Spaß. Und du, mein lieber Jonathan – immer noch alles gefroren?«
Jonathan nickt bedrückt. Marcus weiß über jeden etwas Wichtiges.
»Keine Aussicht auf Tauwetter?«
»Bislang nicht. Nicht einmal die Manager können sich noch selbst ein Ticket ausstellen.«
»Wem sagst du das? Um die Wahrheit zu sagen, Beate wird immer mehr zur treibenden Kraft unserer Kreditbilanz. Sie sorgt für die Wetterbedingungen auf unseren Konten… für gutes Wetter, meine ich. Sonnige Verhältnisse. Dadurch wird sie ein wenig zu unabhängig, wie ich finde. Sie braucht mich gar nicht mehr. Aber das wird sich ändern. Können wir uns anschließend weiter unterhalten?«
»Klar«, sagt Jonathan. Bei Treffen zwischen Sponsor und Klient herrscht immer eine Atmosphäre der Ungezwungenheit und Gleichheit, die nur durch die Schweißflecken unter seinem Arm gestört wird. Marcus könnte Jonathan innerhalb weniger Minuten aus jeder Stellung im Corridor feuern lassen. Dazu müsste er nur ein paar Tasten seines Pads drücken… Patria potestas.
Doch so etwas hat Marcus natürlich niemals getan. Vielleicht ist es nur Jonathans persönliche Unsicherheit, dass er überhaupt an eine solche Möglichkeit denkt. Wenn zu Hause irgendetwas nicht stimmt, fühlt man sich im ganzen Universum nicht mehr wohl.
Aber was ist es eigentlich, das zu Hause nicht mehr stimmen soll?
»Großartig!«, sagt Marcus. »Weißt du irgendetwas über diesen Kerl, diesen Torino?«
»Nein«, antwortet Jonathan.
»Wie ich höre, war es Lukes Idee, ihn mitzubringen. Er wird uns alle mit stimulierenden Gedanken zum großen Ganzen aufrütteln.«
»Klingt interessant«, sagt Jonathan. Chao Luke wirkt in seinem strengen schwarzen Stoiker-Gewand wie ein großer Mönch. Er richtet sich ein Podium neben dem zentralen Taufbecken ein. Ein kleiner, koboldhafter Mann in Hose und Pullover – ganz im Stil der Neunziger – steht neben Chao, ohne irgendetwas zu tun. Das muss Torino sein. Und der Vortrag – er ruft den Termin auf seinem Pad auf – hat das Thema Autopoiesis und der Große Plan. Er blickt sich in der Kathedrale um. Mehrere Männer stellen Geräte an den Wänden auf: Reihen kleiner Projektoren, die Bilder über den Köpfen der Zuhörer entstehen lassen, und reflektierende Leinwände für größere Darstellungen. Bei den meisten Präsentationen vor den Stoikern reicht die Technik kaum über das frühe Zwanzigste hinaus – keine Plugs, keine Glasfaseranschlüsse zwischen den Pads, nur der Geist der Gemeinschaft ohne das Abtauchen in den Datenfluss.
Chao tritt auf das Podium und bittet die Stoiker, sich zu setzen. Die Männer und Frauen suchen sich Plätze in den Bänken vor dem Podium und dem Taufbecken, während Chao sie lächelnd beobachtet. »Hiermit ist das Februar-Treffen der Stoiker, Sektion Seattle, eröffnet.«
Jonathan setzt sich auf das harte Holz. Kirchen scheinen keinen Wert auf Komfort zu legen, die ewige Forderung des unverwüstlichen amerikanischen Asketizismus, dem er sich nicht unbedingt entgegensetzt, der aber dafür verantwortlich ist, dass ihm nach jedem dieser Treffen der Hintern schmerzt.
Er betrachtet Torino, während Nachrichten verlesen und Anträge vorgeschlagen,
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